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Welt-Tuberkulose-Tag 2022: Ein Thema für die Psychopneumologie?

Monika Tempel • März 01, 2022

„Einsatz zeigen, um TB zu beenden – Leben retten“. Gilt das Motto des Welt-Tuberkulosetages 2022 auch für das Thema „Tuberkulose und Psyche“?


Welt-Tuberkulosetag: Bewußtsein schaffen für eine der tödlichsten Infektionskrankheiten weltweit

 

Das Thema des Welt-Tuberkulosetags 2022 verdeutlicht zuallererst eine dringende Notwendigkeit: Ressourcen zu investieren, um den Kampf gegen Tuberkulose zu verstärken. Ist das denn in einem Niedriginzidenz-Land wie Deutschland überhaupt noch notwendig? Die Antwort auf diese Frage wird hoffentlich im Laufe des Beitrags klarer…

 

Seit 1996 wird jedes Jahr am 24. März der Welt-Tuberkulosetag begangen. Er soll die Öffentlichkeit für die verheerenden gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Tuberkulose sensibilisieren und die Anstrengungen zur Beendigung der weltweiten Tuberkulose-Epidemie verstärken.

 

Die WHO wählte dieses Datum in Erinnerung an den Tag im Jahr 1882, an dem Robert Koch seine Identifizierung des Tuberkelbakteriums in der Berliner Physiologischen Gesellschaft bekannt gab. Sein Vortrag „Die Aetiologie der Tuberculose“ eröffnete den Weg zur Diagnose und Heilung dieser Krankheit.

 

Am Welt-Tuberkulosetag engagieren sich zahlreiche Organisationen rund um den Globus und auch in Deutschland mit speziellen Aktionen. Hier ein paar Beispiele:

 





 

Trotz des weltweiten Engagements sterben noch immer jeden Tag über 4.100 Menschen an Tuberkulose und beinahe jede Sekunde infiziert sich ein Mensch neu mit dieser vermeidbaren und heilbaren Krankheit. Die weltweiten Bemühungen zur Bekämpfung der Tuberkulose haben seit dem Jahr 2000 schätzungsweise 66 Millionen Menschenleben gerettet. Die COVID-19-Pandemie bedroht jedoch die jahrelangen Fortschritte im Kampf gegen die Tuberkulose. Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt ist die Zahl der Tuberkulose-Todesfälle im Jahr 2020 gestiegen.

 

Der folgenden Beitrag möchte anläßlich des Welt-Tuberkulosetages 2022 einen zweifachen Blick aus psychopneumologischer Perspektive auf die TB werfen: mit Weitwinkel-Objektiv und mit Lupe.

 


End TB Strategie der WHO – Weitwinkel-Objektiv Nummer 1

 

Mit der „End TB Strategie“ verfolgt die WHO ein ehrgeiziges Ziel. Die Strategie umfasst drei zentrale Säulen, eine Reihe von Meilensteinen für 2020 und 2025 sowie Zielvorgaben für 2030 und 2035.

 

Für Niedriginzidenz-Länder wie Deutschland bedeutet das beispielsweise, bis zum Jahr 2035 die Zahl der TB-Neuinfektionen unter 1 Fall pro 100.000 Einwohner zu senken.

 

Welche Schritte werden auf dem Weg zu den Zielen der End TB Strategie unternommen?

 

Über die Website der WHO sind viele dieser Schritte digital nachvollziehbar. Die wichtigsten werden kurz vorgestellt und verlinkt.



Patienten-Charta

 

Bereits 2006 wurde die Patienten-Charta für die Tuberkulose-Versorgung mit den Rechten und Pflichten der Betroffenen veröffentlicht.

 

Zu den Rechten zählt beispielsweise „das Recht auf eine hochwertige Gesundheitsversorgung in einem würdigen Umfeld, mit moralischer Unterstützung durch Familie, Freunde und die Gemeinschaft...

Die Charta zeigt auf, wie Patienten, die Gemeinschaft, (private und öffentliche) Gesundheitsdienstleister und Regierungen als Partner in einer positiven und offenen Beziehung zusammenarbeiten können, um die Tuberkuloseversorgung und die Wirksamkeit der Gesundheitsversorgung zu verbessern...

Sie ermöglicht es, alle Beteiligten stärker in die Pflicht zu nehmen und fördert die Zusammenarbeit und eine positive Partnerschaft.“

 

[Quelle: Patients’ Charter for Tuberculosis Care © 2006 World Care Council / Conseil Mondial de Soins, www.worldcarecouncil.org/)

 

Die allgemein gehaltenen Ziele der Patienten-Charta wurden in Dokumenten zur Tuberkulose-Versorgung und schließlich in der End TB Strategie konkretisiert.

 


Die End TB Strategie - weltweit

 

Die 2014 von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedete End-TB-Strategie der WHO für die Zeit nach 2015 zielt darauf ab, die globale Tuberkulose-Epidemie im Rahmen der neu verabschiedeten Ziele für nachhaltige Entwicklung zu beenden.

 

Sie dient als Blaupause für die Länder, um die Tuberkulose-Inzidenz um 80 % und die Tuberkulose-Todesfälle um 90 % zu senken und die katastrophalen Kosten für von Tuberkulose betroffene Haushalte bis 2030 zu beseitigen.

 

Die Strategie ist kein Einheitsansatz, und ihr Erfolg hängt von der Anpassung an die unterschiedlichen Gegebenheiten in den Ländern ab.

 

 


Die End TB Strategie – Europa

 

Eine wichtige Fundgrube für Informationen zur europäischen End TB Strategie ist die TB Europe Coalition.

 

Auf der (englischsprachigen) Website von TB Europe Coalition findet man unter dem Menüpunkt „Resources“ eine Fülle von Inhalten. Über den Unterpunkt „External Resources“ gelangt man zu dem Dokument „A people-centred model of tuberculosis care“ (auf Deutsch in etwa: „Ein patienten-zentriertes Modell der Tuberkuloseversorgung“).

 

Beim Blick in diese Blaupause der End TB Strategie für die europäischen Länder entdeckt man deutliche Hinweise auf die psychosozialen Aspekte, die bei der Tuberkulose-Versorgung eine wichtige Rolle spielen.

 

„Psychosoziale Unterstützung ist oft notwendig, damit die Patienten die Behandlung durchhalten. Sie umfasst sowohl psychologische Unterstützung wie Beratungsgespräche oder Unterstützung durch Gleichgesinnte und materielle Unterstützung zur Deckung der indirekten Kosten, die die den Patienten bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten entstehen…

 

Die psychosoziale Unterstützung ist von größter Bedeutung für die vielen untrennbar miteinander verbundenen Komplexitäten der sozialen Krankheit TB. Eine solche Unterstützung trägt letztlich zur Verbesserung der TB-Behandlungsergebnisse bei. Sie ermöglicht eine verbesserte Adhärenz (Therapietreue) der Patienten, um eine angemessene Behandlung durchzuhalten…

 

… Behandlungsunterstützung und -management umfassen patientenunterstützende und -begleitende Behandlungsbeobachtung, wie z. B. durch directly observed therapy (DOT, deutsch: direkt überwachte Therapie) oder durch video-observed therapy (VOT, deutsch: video-überwachte Therapie), sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Therapietreue und zur Begrenzung der Zahl der Nachuntersuchungen.

 

Dazu können gehören:

soziale Unterstützung für TB-Patienten und ihre Haushalte,

psychologische Unterstützung, Beratung und Gesundheitserziehung,

Sicherstellung vertrauensvoller Beziehungen zwischen dem Gesundheitspersonal, den Patienten und den Familien,…

… sogenannte "Tracer", wie Hausbesuche, digitale Gesundheitskommunikation (z. B. Textnachrichten oder Telefonanrufe),…“

 



Das Mental Health Gap Action Programme – Weitwinkel-Blick Nummer 2

 

Die Forderung der globalen End-TB-Strategie nach einer patientenzentrierten Betreuung schließt ausdrücklich die psychosoziale Patientenunterstützung ein. Der Behandlungsschwerpunkt umfaßt also sowohl das psychische als auch das körperliches Wohlbefinden. Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit! Deshalb ist ein engagierter und differenzierter Ansatz erforderlich, der evidenzbasierte Maßnahmen zum Management von psychischen Begleitkrankheiten wie Depressionen, Angstzuständen und (medikamenten-induzierten) Psychosen in die Routinebehandlung der Tuberkulose einschließt.  

 

Wie eine solche psychosoziale Unterstützung für Patienten in der Vorstellung der WHO aussehen könnte, wird im „Mental Health Gap Action Programme“ (mhGAP) dargelegt. Für dieses „Aktionsprogramm zur Förderung der psychischen Gesundheit“ liegt seit 2016 mit der Version 2.0 des „mhGAP Intervention Guide“ ein detaillierter Interventions-Leitfaden für psychische, neurologische und substanzbezogene Störungen in nicht-spezialisierten Gesundheitseinrichtungen vor.

 

Es wäre vermutlich ein großer Schritt nach vorn, wenn die Einbeziehung einiger dieser Interventionen bei Tuberkulose-Behandlungsprogrammen gelingt. Die WHO fördert eine situationsgemäße Anpassung. Nationale TB-Behandlungsprogramme könnten versuchen, die mhGAP-Leitlinien für die routinemäßige Tuberkulose-Behandlung so anzupassen, daß sie in ihrem speziellen Umfeld machbar und wirksam sind.  

 

Der mhGAP Interventions-Leitfaden ist eine Fundgrube für die individuell abgestimmte Behandlung von Tuberkulose-Patienten mit psychischen Problemen. Besonders geeignete, evidenz-basierte Ansätze werden im Rahmen der folgenden Blog-Beiträge zum Thema „Tuberkulose und Psyche“ bei den jeweiligen Etappen der „Patienten-Reise“ ausführlicher vorgestellt.

 

 


Tuberkulose und Psyche – eine schematische „Patienten-Reise“

 

Nach den beiden intensiven Weitwinkel-Blicken auf das Thema „Tuberkulose und Psyche“ folgt jetzt nur noch ein kurzer Lupen-Blick auf die „Patienten-Reise“.

 

Eine schematische Patienten-Reise zum Thema „Tuberkulose und Psyche“ umfaßt folgende Etappen:


  • Symptom-Abklärung (Diagnostikphase) und Diagnose-Mitteilung,
  • Therapie-Entscheidung, Behandlungsverlauf und -abschluß,
  • Alltag und Leben mit Tuberkulose.

 

Die Palette der begleitenden Emotionen zeigt viele Tönungen: Ungewißheit, Besorgnis, Angst, Depression, Scham, Schuldgefühle und noch einige mehr.

 

  • Wie lassen sich Klippen bei der Patienten-Reise umschiffen?
  • Welche Manöver bieten sich bei Gegenwind an?
  • Wie kommt man gemeinsam weiter, wenn eine Flaute herrscht?

 

Das sind einige Fragen, die in den folgenden Blog-Beiträgen anhand einer „Patienten-Reise“ beantwortet werden. Die Blog-Beiträge laden dazu ein, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, das in Deutschland wenig präsent ist: Tuberkulose und Psyche.

 

Die „Patienten-Reise“ ist aus den Erfahrungen von mehreren Tuberkulose-Patienten zusammengestellt und bietet möglicherweise auch für Patienten mit anderen chronischen Lungen-Erkrankungen hilfreiche Anregungen.

 


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Beitragschronik

 

  • Erstveröffentlichung: 1.3.2022

 


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