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Psychopneumologie Lexikon: Z wie Zukunftsmusik

Monika Tempel • Dez. 20, 2022

Der letzte Buchstabe steht im Psychopneumologie Lexikon nicht für ein Ende, sondern für einen Anfang: „Zukunftsmusik“ für COPD, IPF, AATM & Co!


PREM und PROM für eine bessere Versorgung von Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen

 

Lange Zeit wurde die Therapiequalität anhand von Daten erhoben, die Behandler oder Kostenträger bereitstellten. Inzwischen gewinnt die Sicht der Patienten und Angehörigen zu Therapieerfahrungen und Therapieerfolgen erfreulicherweise eine immer größere Bedeutung.

 

PREMs (englisch für: Patient Reported Experience Measures = Patientenberichte über Behandlungserfahrungen) und PROMs (englisch für: Patient Reported Outcome Measures = Patientenberichte über Behandlungsergebnisse) werden erhoben und zunehmend auch in Leitlinien berücksichtigt.

 

Damit rücken gleich mehrere Ziele in greifbare Nähe:

 

  • Ziel 1: Die Gesundheitskompetenz der Betroffenen wird gestärkt.


  • Ziel 2: Das Bewußtsein für angemessenes gesundheitspolitisches Handeln wird geschärft.


  • Ziel 3: Im Idealfall wird die Qualität der Gesundheitsversorgung gezielt verbessert.

 

Wie diese „Zukunftsmusik“ konkret klingen kann, sollen drei „Beispiel-Kompositionen“ aus dem Bereich der chronischen Lungen-Erkrankungen zeigen:

 

  • COPD Patienten-Charta,


  • Europäische IPF Patienten-Charta,


  • Empfehlungen der Europäischen Expertengruppe Alpha-1.

 


COPD Patienten-Charta

 

Es gibt viele veröffentlichte evidenzbasierte Behandlungsrichtlinien für COPD von verschiedenen Expertengruppen und Gesellschaften. Diese werden jedoch nicht immer befolgt, was zu erheblichen Lücken in der Versorgung führt. Insbesondere Krankheitsschübe (Exazerbationen), die das Fortschreiten der Krankheit beschleunigen können, werden oft nicht erfasst oder bleiben unbehandelt, obwohl Leitlinien eine Eskalation der Behandlung empfehlen, um weitere Schübe zu verhindern.

 

Die Behandlung von COPD sollte deshalb proaktiv (vorausschauend) sein, um eine Verschlimmerung der Symptome, häufige Krankheitsschübe und vorzeitigen Tod zu verhindern.

 


Initiatoren und Ziele der COPD Patienten-Charta

 

Vertreter von drei nationalen Patientenorganisationen (aus Frankreich, Großbritannien, Spanien) sowie sieben international aktive Experten stoßen mit dem Entwurf der Charta eine Diskussion über eine Reform der Patientenversorgung bei COPD an. Die Charta wurde von AstraZeneca initiiert und finanziert.

 

Der Zweck der Patienten-Charta ist es, Regierungen, Gesundheitsdienstleister, politische Entscheidungsträger und alle Akteure, die an der Versorgung pneumologischer Patienten beteiligt sind, unter Einschluss der Patienten, zu mobilisieren. Durch die Zusammenarbeit sollen sinnvolle Verbesserungen der gegenwärtigen und zukünftigen Versorgung erzielt werden.

 

Ziel der Patienten-Charta ist es, einen Standard dafür zu setzen, was Patienten mit COPD von einer optimalen Versorgung ihrer Erkrankung erwarten sollten. Diese Erwartungen stehen im Einklang mit dem aktuellen Best-Practice-Verständnis nationaler und internationaler Fachverbände.


Dazu bietet sich ein Vorgehen an, das sich bildlich als Spirale darstellen läßt. Die Spirale des COPD-Managements umfaßt fünf Schritte (entsprechend GOLD-Empfehlungen).

 

  • Schritt 1: Diagnose


  • Schritt 2: Erste Bewertung


  • Schritt 3: Erstbehandlung


  • Schritt 4: Laufende Überprüfung


  • Schritt 5: Anpassung

 

Für eine optimale Zielerreichung sollte sich der Umsetzungsprozeß nach Einschätzung der Experten an sechs Prinzipien orientieren. Die Grundsätze sind aus der Patientensicht formuliert und beziehen sich auf deren Erwartungen an eine qualitativ hochwertige Versorgung, unabhängig von ihrem Wohnort.

 


Die 6 Prinzipien einer qualitativ hochwertigen Versorgung für Patienten mit COPD

 

  • Grundsatz #1: „Ich verdiene eine rechtzeitige Diagnose und Einschätzung meiner COPD.“


  • Grundsatz #2: „Ich verdiene es zu verstehen, was es heißt, eine COPD zu haben und wie die Erkrankung verlaufen kann.“


  • Grundsatz #3: „Ich verdiene den Zugang zur besten verfügbaren, evidenzbasierten, individuellen Behandlung, um sicherzustellen, daß ich so gut und so lange wie möglich leben kann.“


  • Grundsatz #4: „Wenn ich eine Exazerbation erleide, verdiene ich eine umgehende Überprüfung meines aktuellen Management-Plans, um weitere Exazerbationen und ein Fortschreiten der Krankheit zu verhindern.“


  • Grundsatz #5: „Ich verdiene Zugang zur richtigen fachärztlichen Versorgung, wenn ich sie benötige.“


  • Grundsatz #6: „Ich verdiene es, mit meiner COPD frei zu leben und dabei die Lebensqualität zu maximieren, ohne Stigmatisierung oder Schuldgefühle.“

 


Europäische Lungenfibrose Patienten-Charta (IPF-Charta)

 

Wir befinden uns in einer Zeit großer medizinischer Fortschritte auf dem Gebiet der Atemwegskrankheiten, insbesondere bei der idiopathischen Lungenfibrose (IPF).

 

Es gibt jedoch noch viele Schwierigkeiten für Patienten mit IPF und deren Angehörige. Sie haben Schwierigkeiten im Vorfeld und im Zusammenhang mit der Diagnosestellung. Und sie müssen sich nach der Diagnose mit einer lebensbegrenzenden, schnell fortschreitenden Krankheit arrangieren, für die es bisher nur wenige Unterstützungsstrukturen gibt.

 


Initiatoren und Ziele der Europäischen IPF-Charta

 

Insgesamt wurden 11 europäische Patientenvertretungen zur Versorgung von Patienten mit IPF in ihren Ländern befragt. Die Rückmeldungen aus den Interviews wurden einer Arbeitsgruppe vorgelegt, die sich aus Vertretern von Patientenvertretungen und IPF-Spezialisten zusammensetzte. Die wichtigsten Übereinstimmungen wurden in die Europäische IPF-Patientencharta aufgenommen. Diese wurde 2014 schließlich 26 Mitgliedern des Europäischen Parlaments vorgestellt.

 

Mit dieser Europäischen Patienten-Charta wenden sich IPF Patientenorganisationen in ganz Europa an:


  • politische Entscheidungsträger,
  • Gesundheitsdienstleister,
  • Geldgeber/Kostenträger (Versicherer),
  • nationale Regierungen.

 

Diese sollen Maßnahmen ergreifen, die mehr Bewußtsein für die Idiopathische Lungenfibrose schaffen, die gleiche und verbesserte Behandlungsstandards gewährleisten und die einen gleichen Zugang sowie eine bessere Qualität in der Betreuung von Patienten mit IPF auf Europäischer Ebene schaffen.

 


Die 5 Forderungen der IPF-Charta

 

Aus den Interviews ergaben sich fünf Schlüsselthemen, die in die endgültige Charta als Forderungen einflossen:

 

  • Forderung # 1: Gewährleistung einer frühen und genauen Diagnose

 

  • Forderung # 2: Gleicher Zugang zur Gesundheitsversorgung, einschließlich der Bereitstellung von Medikamente sowie Zugang zur Lungentransplantation unabhängig vom Alter


  • Forderung # 3: Förderung eines ganzheitlichen Ansatzes, zur Standardisierung des IPF-Managements


  • Forderung # 4: Bereitstellung von umfassenden und hochwertig qualitativen Information über die Erkrankung


  • Forderung # 5: Zugang zu Palliativmedizin und Sterbebegleitung erhöhen, inklusive der Unterstützung für Patienten und deren Familien

 


Empfehlungen der Europäischen Expertengruppe Alpha-1

 

Die Hauptschwierigkeit bei der Behandlung von Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM bzw. engl. AATD) ist die frühzeitige Erkennung der Krank­heit. Bei vielen Patienten wird die Krankheit erst erkannt, wenn sich bereits schwerwiegende Symptome zeigen. Und das, obwohl eine Diagnose mit einfachen und preiswerten Mitteln mög­lich ist.

 

Durch eine verstärkte Zusammenarbeit von ausge­bildeten und erfahrenen Gesundheitsexperten und Patienten, sowie gezielte gesundheitspolitische Maßnahmen soll die Versorgungssituation von Alpha-1-Patienten und deren Angehörigen verbessert werden.

 


Initiatoren und Zielgruppen der Alpha-1-Experten-Empfehlungen

 

Eine Europäische Expertengruppe Alpha-1 hat, mit Unterstützung von Alpha-1 Global (einem weltweiten Netzwerk von Alpha-1-Patienten, Medizinern und Forschern), detaillierte Empfehlungen für die bessere Versorgung von Patienten mit der erblichen Stoffwechsel-Erkrankung AATM und für deren Angehörige entwickelt.

 

Die Empfehlungen beschreiben anschaulich Aufgaben für Politiker, für Gesundheitsexperten, sowie für einzelne Betroffene und ihre Behandler bzw. Pflegepersonen.

 


Alpha-1-Aufgaben für Politiker: Agieren, koordinieren und bewerten

 

  • Herausforderung #1: Späte oder falsche Diagnose


  • Herausforderung #2: Kostenerstattung (vor allem der Substitutionstherapie)


  • Herausforderung #3: Koordination


  • Herausforderung #4: Ganzheitliche Politik für Alpha-1



Alpha-1-Aufgaben für medizinisches Fachpersonal: Erkennen, reagieren, überweisen

 

  • Schritt #1: Erkennen – Alpha-1 kommt öfter vor, als man denkt!


  • Schritt #2: Reagieren – der Test ist billig und kann Leben retten!


  • Schritt #3: Überweisen – Alpha-1-Expertenzentren gibt es in ganz Europa!

 


Alpha-1-Aufgaben für Betroffene und deren Behandler und Pflegepersonen: Fragen stellen

 

  • Frage #1: Habe ich Alpha-1 und wie komme ich zu einer Diagnose?


  • Frage #2: Wie kann ich behandelt werden?


  • Frage #3: Wo finde ich Unterstützung?

 


Fazit für die psychopneumologische Praxis

 

COPD Patienten-Charta, IPF-Charta und die Expertenempfehlungen Alpha-1 sind Fundgruben für alle, denen innovative Behandlungsstrategien für Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen am Herzen liegen. Das gilt in besonderem Maße auch für den Einsatz von psychopneumologischen Interventionen.

 

Beispiele für den Einsatz der Psychopneumologie finden sich in jedem der drei oben dargestellten Dokumente. Das belegen die folgenden Stichwortlisten.

 

1. COPD Patienten-Charta:


  • Risikoprävention und Risikoreduktion (v. a. Rauchen),
  • Motivation zu Körperlicher Aktivität,
  • Selbstmanagement-Training (v. a. Exazerbations-Management),
  • Behandlung von psychischen Komorbiditäten (v. a. Angststörungen und Depressionen),
  • Pneumologische Rehabilitation (multimodal, multidisziplinär),
  • Umgang mit Stigmatisierung und Schuldgefühlen.

 

2. IPF-Charta:


  • Umfassende Krankheitsinformationen (auch zu psychopneumologischer Begleitung),
  • ganzheitliches IPF-Management (durch multidisziplinäre Teams, unter Einbeziehung der Psychopneumologie),
  • verbesserter Zugang zu Palliativmedizin und Begleitung am Lebensende (für Patienten und Angehörige).

 

3. Alpha-1-Expertengruppen-Empfehlungen:


  • Streßreduktion,
  • psychosomatische/psychologische Behandlung bei psychischer Komorbidität.

 

Für die Psychopneumologie bieten sich also zahlreiche Möglichkeiten, ihre Stimme in die „Zukunftsmusik“ für Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen einzubringen.

 

 

Themenverwandte Beiträge







 

 

Quellen und weiterführende Literatur

 

 

  • IPF-Charta auf der Website von: EU-IPFF


  • Empfehlungen Europäische Expertengruppe Alpha-1 auf der Website von: Alpha-1 Global

 


Beitragschronik


  • Erstveröffentlichung: 20.12.2022

 


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