TANDEM-Vollbremsung: Zu wenig, zu spät für Lunge und Psyche?

Monika Tempel • 8. Januar 2025

Die TANDEM-Intervention war nicht wirksam. Warum das eine Ernüchterung und eine Ermunterung zugleich ist.

TANDEM: Die wissenschaftlichen Grundlagen

 

Im Blog-Beitrag Mit TANDEM der Depression und Angst bei COPD davonradeln?“   ist ausführlich dargestellt, wie die TANDEM-Studie in jahrelanger Forschungsarbeit entwickelt wurde.

 

TANDEM ist ein Akronym (ein Kurzwort, das aus den Anfangsbuchstaben oder Anfangssilben von Wörtern gebildet wird). Es steht für „Tailored intervention for ANxiety and DEpression Management in COPD” – zu Deutsch: Maßgeschneiderte Intervention für das Management von Angst und Depression bei COPD.

 

Der Beitrag drehte sich um diese TANDEM-Intervention und das damit verknüpfte britische Studien-Projekt. Die ausführliche Darstellung der Vorarbeiten und des Studien-Designs ließ erahnen, was die TANDEM-Forschergruppe bereits geleistet hatte, um einen Ansatz der Psychopneumologie  (die Kognitive Verhaltenstherapie) für COPD-Patienten mit Angst und Depression nutzbar zu machen.

 

Der Schlußsatz versprach den interessierten Lesern damals: „Wie es mit der TANDEM-Studie weitergeht, erfährst Du (hoffentlich schon bald!) in einem neuen Blog-Beitrag.“

 

 TANDEM-Ergebnisse: Eine Vollbremsung für die Psychopneumologie?

 

Bereits im Sommer 2023 machte eine ernüchternde Kurz-Nachricht die Runde in der psychopneumologischen Community:

 

“Shareable abstract (@ERSpublications)

The TANDEM trial reports no benefit from a cognitive behavioural approach intervention focused particularly on breathlessness in people with advanced COPD and anxiety/depression. More research is needed for these patients with high levels of unmet need. https://bit.ly/3QDCB8v”

 

Auf Deutsch:

„Teilbare Zusammenfassung (@ERSpublications)

Die TANDEM-Studie berichtet über den fehlenden Nutzen einer Intervention mit kognitivem Verhaltensansatz, die sich insbesondere auf Atemnot bei Menschen mit fortgeschrittener COPD und Angst/Depression konzentriert. Mehr Forschung für diese Patienten mit hohem ungedecktem Behandlungsbedarf ist erforderlich. https://bit.ly/3QDCB8v“

 

Der Artikel im EUROPEAN RESPIRATORY JOURNAL stellte die ernüchternden Ergebnisse der aufwendig konzipierten und sorgfältig durchgeführten randomisiert kontrollierten TANDEM-Studie  vor:

 

„Die Intervention verbesserte weder die Angstzustände (HADS-A mittlere Differenz -0,60, 95% CI -1,40-0,21) oder Depression (HADS-D mittlere Differenz -0,66, 95% CI -1,39-0,07) nach 6 Monaten. Die Intervention verbesserte zu keinem der beiden Zeitpunkte sekundäre Ergebnisse und hatte auch keinen Einfluss auf die Beendigung des Abschlusses der pulmonalen Rehabilitation oder die Inanspruchnahme von Gesundheitsressourcen. Die Zahl der Todesfälle in der Interventionsgruppe (13/242; 5 %) war höher als in der der Kontrollgruppe (3/181; 2 %), aber keiner davon wurde mit der Intervention in Verbindung gebracht. Die gesundheitsökonomische Analyse ergab, dass die Intervention höchstwahrscheinlich nicht kosteneffektiv ist.“

 

[Quelle: Taylor SJC, Sohanpal R, Steed L, et al. Tailored psychological intervention for anxiety or depression in COPD (TANDEM): a randomised controlled trial. Eur Respir J 2023; 62: 2300432 [DOI: 10.1183/13993003.00432-2023]. – Übertragung ins Deutsche mit Unterstützung von DeepL.com durch Monika Tempel]

 

Nicht weniger desillusioniert klang die Schlußfolgerung der Autoren:

 

„Diese Studie hat zweifelsfrei gezeigt, dass diese kognitive Verhaltensintervention (TANDEM; eingefügt von M.T.), die von geschulten und beaufsichtigten Atemwegsmedizinern durchgeführt wird, die psychologische Komorbidität bei Menschen mit fortgeschrittener COPD und Depression oder Angstzuständen nicht verbessert.“

 

Bedeutet diese Schlußfolgerung der enttäuschten Forschergruppe das Aus für einen bisher als verheißungsvoll und zukunftsträchtig angesehen psychopneumologischen Ansatz?

 

Eine Antwort auf diese Frage liefert möglicherweise eine sorgfältige Untersuchung nach den Kriterien der Gesundheitstechnologie-Bewertung.

 

TANDEM: Die umfangreiche Gesundheitstechnologie-Bewertung

 

Forschung zur Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA = Health Technology Assessment) wird durchgeführt, wenn bereits einige Beweise dafür vorliegen, dass eine Technologie wirksam sein kann, und diese mit der derzeitigen Standardintervention verglichen werden muss, um festzustellen, welche am besten funktioniert. Die Forschung kann jede Intervention bewerten, die zur Behandlung, Vorbeugung oder Diagnose von Krankheiten eingesetzt wird, sofern die Studienergebnisse zu Erkenntnissen führen, die einen direkten Nutzen für Patienten haben können.

 

Technologien sind in diesem Zusammenhang alle Methoden

  • zur Förderung der Gesundheit,
  • zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten,
  • zur Verbesserung der Rehabilitation oder Langzeitpflege.

 

Sie beschränken sich nicht auf neue Medikamente und umfassen alle Behandlungsansätze, die zur Vorbeugung oder Diagnose von Krankheiten eingesetzt werden.

 

Nach den Kriterien der Gesundheitstechnologie-Bewertung hat die TANDEM-Forschergruppe ihre Studie einer umfangreichen Analyse und Diskussion unterzogen. Im Januar 2024 wurden die Ergebnisse in einem 129-seitigen Bericht veröffentlicht.

 

[Quelle: Sohanpal R, Pinnock H, Steed L, Heslop-Marshall K, Kelly MJ, Chan C, et al. A tailored psychological intervention for anxiety and depression management in people with chronic obstructive pulmonary disease: TANDEM RCT and process evaluation. Health Technol Assess 2024;28(1). https://doi.org/10.3310/PAWA7221]

 

Mögliche Mechanismen für das Scheitern der TANDEM-Intervention

 

Die Diskussion (Kapitel 7) umfaßt u. a. folgende Punkte:

Stärken und Schwächen im Vergleich zu anderen Studien (wobei insbesondere auf etwaige Unterschiede in den Ergebnissen eingegangen wird),

Implikationen für die Methodik der Patienten- und Öffentlichkeitsbeteiligung,

Bedeutung der Studie: mögliche Mechanismen.

 

Hierbei diskutieren die Autoren mehrere Mechanismen für das Scheitern der TANDEM-Intervention. Besonders interessant sind dabei folgende Ausführungen:

 

1. Zur adäquaten Dosis der Intervention

„Es ist möglich, dass unsere Intervention nicht lang genug war oder dass eine ausreichende Anzahl von Interventionsteilnehmer keine ausreichende Dosis (an Interventionen; eingefügt von M. T.) erhalten haben.“

 

2. Zur Komplexität des Lebens und der Herausforderung der Multimorbidität

„In diesem komplexen Kontext könnte die TANDEM-Intervention, die von medizinischem Fachpersonal durchgeführt wurde und in erster Linie auf die Behandlung von Ängsten und/oder Depressionen im Zusammenhang mit COPD zielte, einen zu engen Fokus gehabt haben. Sicherlich haben viele der Moderatoren die Breite der von den Teilnehmern vorgetragenen Probleme unterschätzt, die in Bezug auf andere Erkrankungen, biographische Faktoren oder den sozialen Kontext von den Teilnehmern vorgetragen wurden…


Möglicherweise haben wir die Wirksamkeit der TANDEM-Intervention überschätzt, d. h. einer CBT-Intervention von geringer Intensität, die zu einem einzigen, relativ späten Zeitpunkt in einem langjährigen Krankheitsverlauf durchgeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren die Probleme der Menschen tief verwurzelt und sie hatten über viele Jahre hinweg ihre eigenen Bewältigungsmechanismen entwickelt, die es ihnen ermöglichten, mit ihrer langsam fortschreitenden Atemwegsbehinderung zu leben. Erhebliche Angst oder Depression bei Patienten mit komplexer Multimorbidität deutlich zu reduzieren, hätte möglicherweise eine andere oder viel nachhaltigere Intervention erfordert.“

 

Mit einem neuen „Vehikel“ in die psychopneumologische Zukunft?

 

Jede Zeile des Berichts zur Gesundheitstechnologie-Bewertung von TANDEM liest sich spannend und bietet Ansatzpunkte für die psychopneumologische Diskussion. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Empfehlungen für die künftige Forschung:

 

„Die Studie hat gezeigt, dass bei den Teilnehmern der TANDEM-Studie ein sehr hoher ungedeckter Behandlungsbedarf besteht. Weitere Forschung ist erforderlich, um wirksame Wege zur Verbesserung der Stimmung und der Ergebnisse bei Menschen mit mittelschwerer bis sehr schwerer COPD und Angst oder Depression zu finden.


Es gibt gute Belege für CBT (CBT = Cognitive Behavioral Therapie = Kognitive Verhaltenstherapie) bei anderen Langzeiterkrankungen, und diese Studie hat bestätigt, dass Fachkräfte des Gesundheitswesens erfolgreich geschult werden können, um Interventionen mit geringerer Intensität durchzuführen.

Daher lohnt es sich zu untersuchen, ob eine Intervention wie die TANDEM-Intervention auch bei Menschen in einem viel früheren Stadium ihrer COPD-Krankheit wirksam sein könnte. Es wäre sinnvoll, die Krankheitswahrnehmung im Laufe der Zeit zu betrachten, z. B. bei der Diagnose, und zu untersuchen, wie sich dies für den optimalen Zeitpunkt für eine psychoedukative Selbstmanagement-Intervention nutzen ließe.


Bevor sie an der Studie teilnahmen, erkannten alle TANDEM-Moderatoren die Notwendigkeit, die physischen, emotionalen und psychologischen Aspekte der COPD anzusprechen. Nach ihrer Schulung sprachen die Moderatoren von den Fähigkeiten, die sie außerhalb der Studie erlernt hatten, bei anderen Patienten mit COPD oder anderen chronischen Atemwegserkrankungen.


Wir schlagen vor, die Entwicklung von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Fähigkeiten als Teil der postgradualen Ausbildung für eine Vielzahl von Fachkräften im Gesundheitswesen zu evaluieren, mit dem Ziel, diesen Ansatz in die Routineversorgung von Langzeiterkrankungen zu integrieren.


Ob randomisierte kontrollierte Studien wirklich der beste Weg sind, um die klinische Wirksamkeit und den Wert komplexer Interventionen bei Multimorbidität zu ermitteln, ist unklar.


Wir schlagen vor, neue integrierte Ansätze für die Versorgung und unterschiedliche Studiendesigns und Forschungsmethoden zu identifizieren für Patienten mit komplexen Gesundheitszuständen und einem komplizierten und manchmal auch schwierigen Leben.“

 

Diese Schlußfolgerung fordert heraus zum Umdenken, Umlenken und zur Verfolgung von alternativen psychopneumologischen Ansatzpunkten. Wie dieser Neustart nach der TANDEM-Vollbremsung aussehen könnte, erfordert die gemeinsame Anstrengungen aller Akteure, denen das psychische Wohl von Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen am Herzen liegt. Eine spannende Aufgabe – nicht nur für das neue Jahr 2025!

 

LINK zum HTA-Dokument: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK599342/

 

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  • Erstveröffentlichung: 8.1.2025


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