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Tuberkulose und Psyche: Symptom-Abklärung und Diagnose-Übermittlung

Monika Tempel • März 08, 2022

Wie Tuberkulose-Patienten die Zeit der ungeklärten Symptome und die Diagnose-Übermittlung erleben und wie eine psychopneumologische Begleitung aussehen könnte.



Symptom-Abklärung

 

Eine junge Frau, die keiner Risikogruppe angehört: Weder mangelernährt, noch in prekären Verhältnissen lebend, nicht obdachlos und keine HIV-Patientin. Eine ganz normale junge Frau „aus geordneten Verhältnissen“ hustet…



„Die Diagnose Tuberkulose kam den Ärzten nie in den Sinn.“

 

„Der Husten hatte im Winter begonnen, nachdem ich mich etwas unwohl gefühlt hatte. Mein Hausarzt sagte mir, ich solle es ruhig angehen lassen und mich wieder melden, wenn der Husten bis Ostern nicht aufgehört hätte. Als ich auch im April noch hustete, wurde der Husten zunächst als verschleppte Infektion, danach als Allergie und schließlich als beginnendes Asthma abgetan. Im Laufe der folgenden Monaten wurde ich von insgesamt fünf Ärzten untersucht, ich erhielt Antibiotika und Cortison-Spray, aber der Husten blieb.“

 

Husten ist ein lästiges, je nach Ausprägung auch quälendes Symptom. Findet sich monatelang keine Ursache dafür und greifen die verordneten Medikamente nicht, so sind Betroffene oft zermürbt durch das hustenbedingte Schlafdefizit, durch Brust- und Kopfschmerzen, durch Heiserkeit und Nasenbluten und andere Auswirkungen.

 

Ständiges Husten ist auch für die Umgebung lästig, die darauf manchmal mit angespannter oder gereizter Stimmung reagiert.

 

Gerade für Patienten mit einer noch nicht diagnostizierten Tuberkulose reicht bereits das Leitsymptom „Husten“ für eine psychische Belastung in der Diagnostikphase. Doch beim Husten bleibt es meist nicht.

 


„Ich zog mich immer mehr zurück.“

 

„Obwohl ich alle Empfehlungen beachtete, sogar das Rauchen aufgegeben hatte, verschwanden die unerklärlichen Symptome nicht. Zum Husten, der sich nicht besserte, kamen Gewichtsverlust, Schweißausbrüche und ein allgemeines Gefühl der Müdigkeit und Schwäche. Jede Aktivität erschöpfte mich, also blieb ich zu Hause, wenn ich nicht unbedingt raus mußte. Ich war zu müde, um auch nur für kurze Zeit zu stehen.“

 

Wenn sich für diese Entwicklung von blühender Gesundheit zu absoluter Hinfälligkeit keine medizinische Erklärung findet, wachsen bei Patienten Besorgnis und Angst. Manche werden introvertierter bis hin zu depressiver Niedergeschlagenheit. Mitunter ziehen sich Betroffene in diesem Stadium ganz zurück, wenn Behandler und Umwelt auf die Symptome ohne Diagnose unsensibel oder verständnislos reagieren.

 


„Es war irgendwie außer Kontrolle geraten.“

 

„Selbst nachdem ich die nächtlichen Schweißausbrüche, den starken Gewichtsverlust und die unglaubliche Müdigkeit bemerkt hatte, dauerte es noch ein paar Monate bis zur Diagnose „Tuberkulose“. In der Zwischenzeit war man überzeugt, daß es sich um Krebs und viele andere gefährlich klingende Krankheiten handelte.“

 

Es ist nachvollziehbar, daß eine so lange Diagnostikphase für Betroffene mit gravierenden, aber ungeklärten Symptomen (Husten, Gewichtsverlust, Leistungseinbruch) Besorgnis auslöst oder Ängste wachruft und insgesamt als hohe psychische Belastung erlebt wird.

 


Unterstützung während der Symptom-Abklärung bei Tuberkulose

 

Welche Möglichkeiten einer psychopneumologischen Begleitung bieten sich während der mitunter monatelangen Diagnostikphase bei Tuberkulose an?

 

Die oben geschilderten Patienten-Erfahrungen lassen bereits erahnen, daß ein breites Spektrum von Emotionen auftreten kann, die alle (neben dem Umgang mit den körperlichen Symptomen) bewältigt werden müssen:


  • Besorgnis,
  • Angst,
  • Rückzug,
  • Niedergeschlagenheit,
  • Depression,…

 

Wichtig für die Begleitung der Betroffenen in dieser Phase ist die Beachtung der grundsätzlichen Interventionen zur Förderung der psychischen Gesundheit.

 


Effektiv kommunizieren

 

  • Ein Umfeld schaffen, das eine offene Kommunikation erleichtert.
  • Die betroffene Person (und ihre Angehörigen) einbeziehen.
  • Mit aktivem Zuhören beginnen.
  • Zu jeder Zeit freundlich, respektvoll und unvoreingenommen sein.
  • Klar, einfach, schlüssig und überzeugend kommunizieren.
  • Zugang zu Informationen gewähren und, soweit möglich, erklären.
  • Medizinisch bisher nicht geklärte Befunde ernstnehmen und mit Betroffenen besprechen.
  • Einfühlsam reagieren, wenn Betroffene schwierige Erfahrungen offenlegen (z. B. belastende Gefühle wie Angst und Niedergeschlagenheit, Rückzugswünsche,…).

 

Psycho-mentalen Befund erheben


  • falls sich Hinweise auf eine hohe psychische Belastung ergeben.

 

Psycho-mentale Störungen behandeln


  • falls notwendig.

 


Diagnose-Mitteilung

 

Nach Monaten mit unerklärbaren, ängstigenden Beschwerden, mit zahlreichen Arztbesuchen und Untersuchungen liefert in der Regel die Bakteriologie schließlich den Befund: Es ist Tuberkulose. Die Diagnose-Mitteilung kann sehr unterschiedliche psychische Reaktionen auslösen.

 


„Als man herausfand, daß ich TB hatte, war ich eigentlich erleichtert.“

 

„Nach der ganzen langen Zeit der Ungewißheit fühlte ich mich so schrecklich, daß ich nur Antworten wollte. Es war schrecklich, sich so übel zu fühlen und nichts zu wissen."

 

Diese Patienten-Erfahrung spiegelt die Erleichterung wider, die einige Betroffene verspüren: Endlich eine Diagnose! Ob diese Erleichterung von Dauer ist, bleibt abzuwarten.

 


„Ich war überrumpelt und gleichzeitig erleichtert.“

 

„Die Diagnose-Mitteilung erfolgte in einem Satz und ohne jegliche Vorwarnung nach zahlreichen Untersuchungen. Unvermittelt teilte mir der Arzt mit, daß es sich um eine Lungentuberkulose handelt. Der Moment der Diagnose-Mitteilung fühlte sich unrealistisch an. Ich war überrumpelt und gleichzeitig erleichtert, dass die monatelange Ungewissheit ein Ende hatte. Ich stand irgendwie neben mir und war wie ´ferngesteuert`.“

 

Häufiger als pure Erleichterung schildern Betroffene ihre gemischten Gefühle: Erleichterung und eine Art Schock mit eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit und Derealisation.

 


Unterstützung im Rahmen der Diagnose-Mitteilung

 

Kommunikation ist inzwischen ein fester Bestandteil der medizinischen Ausbildung. Es gibt theoretische und praktische Unterweisungen, wie Mediziner eine ernste Diagnose angemessen mitteilen sollen.


Eine bekannte Anleitung ist das SPIKE-Protokoll für Ärzte bzw. eine entsprechende NURSE-Intervention für andere Gesundheitsfachkräfte.

 

Im Prinzip sollen diese Gesprächstechniken Halt vermitteln:


  • Halt für Patienten (und Angehörigen), wenn sie eine ernste Diagnose erfahren.
  • Halt für Behandler, die eine ernste Diagnose angemessen vermitteln müssen.

 

Es hat sich als hilfreich erwiesen, dabei die Gesprächsrealität bei der Diagnose-Mitteilung möglichst umfassend zu berücksichtigen:


  • Alle finden ihren Platz. („Wir können das gerne mit einer Person Ihres Vertrauens gemeinsam besprechen.“)


  • Störungen werden, soweit möglich, vermieden. („Wir besprechen das jetzt in der nächsten halben Stunde in Ruhe.“)


  • Der Wissensstand des Patienten bildet die Gesprächsbasis. („Was wissen Sie bereits über ihre medizinische Situation?“)


  • Die Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit des Patienten bestimmen den jeweiligen nächsten Schritt. („Sollen wir jetzt alle Ergebnisse und Entscheidungen besprechen – oder lieber verteilt auf zwei Gespräche?“)


  • Die Kernbotschaft wird mit einer Vorwarnung und wertschätzend vermittelt. („Ich muß Ihnen leider mitteilen, daß Sie an Tuberkulose erkrankt sind.“)


  • Emotionale Reaktionen von Patient (und Angehörigen) werden einfühlsam aufgegriffen. („Verständlich, daß Sie jetzt erstmal geschockt sind.“)


  • Sobald der Patient in der Lage dazu ist, wird das weitere Vorgehen besprochen. („Vielleicht können wir jetzt schon schauen, wie es weitergehen wird…“)

 

Ein solches Diagnose-Gespräch hat die Tuberkulose-Patientin Carolin Fuchs nicht erlebt. Ihr kommen im Rückblick auf ihre Erfahrungen folgende Überlegungen in den Sinn:

 

„Sie schreiben in Ihrem Blog, dass sich die Vorgehensweise bei der Diagnose-Mitteilung etc. ändern muss. Dem stimme ich zu 100 % zu! Ich hatte und habe zum Glück den Rückhalt und die Unterstützung meiner Familie. Aber wer alleine oder auf Hilfe angewiesen ist, fühlt sich wahrscheinlich ziemlich verloren. Meiner Meinung nach müssen die Ärzte besser geschult werden hinsichtlich des Umgangs mit Patienten. Was für Ärzte Alltag ist, ist für Patienten

eine Ausnahmesituation und ich denke, dass manche sich dessen nicht bewusst sind. Auch die Gesundheitsämter, die oftmals mit involviert sind, sollten entsprechend mit eingebunden werden. Ich denke, dass alle Beteiligten sensibilisiert werden müssen, um eine gute Behandlung und Betreuung der Patienten UND Angehörigen gewährleisten zu können.“

 

Bei diesen Überlegungen hat es Carolin Fuchs nicht belassen. Sie hat ein Selbsthilfe-Projekt gestartet: Mit Tuberkulose leben.

 

Mit ihrem Internet-Auftritt möchte sie Betroffene vernetzen, um sich mit der Diagnose auseinanderzusetzen, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen, denn: „Mit Tuberkulose lebt man ein Leben lang.“

 

 

Im zweiten Beitrag der Blog-Serie „Tuberkulose und Psyche“ geht es weiter mit den emotionalen Belastungen durch Therapie-Entscheidung und Behandlungsverlauf und den Möglichkeiten der Unterstützung durch die Psychopneumologie.

 


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Beitragschronik

 

  • Erstveröffentlichung: 8.3.2022



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