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Psychopneumologie Lexikon: D wie Dyadisches Coping

Monika Tempel • Feb. 24, 2022

Chronische (Lungen)Erkrankungen sind „Wir-Krankheiten“. Angehörige leisten einen wesentlichen Beitrag zur Krankheitsverarbeitung.



Die Rolle der Angehörigen bei chronischen (Lungen)Erkrankungen

 

Angehörige („Kümmerer“) sind von der chronischen Erkrankung eines Familienmitgliedes unmittelbar und dauerhaft mitbetroffen. Lange Zeit wurden Angehörige als eher störend für das Behandlungsgeschehen empfunden. Inzwischen interessieren sich Forscher und Behandler zunehmend für die gemeinsame Krankheitsbewältigung von Paaren (Dyadisches Coping).

 


Was bedeutet Dyadisches Coping?

 

Dyadisches Coping (engl. dyadic = paarbezogen, coping = Bewältigung) ergänzt die individuelle Streß- bzw. Krankheitsbewältigung (siehe Psychopneumologie Lexikon: C wie Coping).

 

Dyadisches Coping beschreibt den gemeinsamen Bewältigungsprozeß und umfaßt ein sehr komplexes Zusammenspiel.

 

Im engeren Sinne beschreibt Dyadisches Coping den Prozeß, bei dem die verbalen und nonverbalen Streßsignale des einen Partners durch Reaktionen des anderen beantwortet werden.

 

Streß, der beide Partner gleichzeitig betrifft, wird als „Wir-Streß“ bezeichnet. In diesem Sinne spricht man aufgrund der gemeinschaftlichen Belastungen für Patienten und familiäres Umfeld durch eine chronische Krankheit von einer „Wir-Erkrankung“.

 


Welche Formen von DC gibt es?

 

Bodenmann G und Kollegen unterteilen zunächst in positives und negatives Dyadisches Coping (im weiteren Text abgekürzt: DC).

 


Positives Dyadisches Coping (DC)

 

  • Gemeinsames DC: Beim Gemeinsamen Dyadischen Coping ist die Streß-Bewältigung gekennzeichnet durch gemeinsame Handlungen beider Partner.

 

Gemeinsames DC läßt sich noch unterteilen in:

 

  • Supportives DC: Hierbei liefert ein Partner Unterstützung, ohne dem anderen die gesamte Bewältigungsarbeit komplett abzunehmen. Diese Form des DC ist vor allem in stabilen Phasen sinnvoll, um den Selbstwert des Patienten und seine Selbstwirksamkeits-Erwartung zu stärken.

 

  • Delegiertes DC: Beim Delegierten DC kommt es zu einem kompletten Abtreten von Bewältigungsarbeit an einen Partner, z. B. bei aktueller oder genereller Überforderung.

 


Negatives Dyadisches Coping (DC)

 

Negatives DC ist häufig ein unbeabsichtigtes Ergebnis von Hilflosigkeit und Überforderung des Partners. Negatives DC weist durch komplexe Zusammenhänge einen ungünstigen Effekt auf den Krankheitsverlauf aus. So zeigt beispielsweise eine Studie, daß Kritik durch Familienmitglieder bei AATM-Patienten mit erhöhtem Streß-Erleben die Atemnot verstärkt. Es ist also wichtig, Negatives DC rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Unterstützungsangebote für die Betroffenen anzubieten.

 

Negatives DC kann in verschiedenen Formen auftreten:

 

  • Ambivalentes DC: Die Widersprüche (Ambivalenz) liegen im Empfinden der Partner, wenn beispielsweise die Unterstützung von einem der Partner als unnötig oder belastend erlebt wird.

 

  • Hostiles DC: Beim Hostilen DC reagiert ein Partner direkt und offensichtlich feindselig auf Streßsignale oder Bewältigungsbemühungen des Gegenübers.

 

  • Floskelhaftes DC: Das Floskelhafte DC ist eine häufige Form des Negativen DC. Es äußert sich in einer routinemäßigen, oberflächlichen Unterstützung ohne innere Beteiligung an den Bewältigungsbemühungen des Partners.

 


Beispiele für positives und negatives Dyadisches Coping bei chronischen Lungenerkrankungen

 

Die abstrakt klingenden Definitionen lassen sich anhand von Beispielen veranschaulichen. Sie stammen aus der Kommunikation im Alltag von Betroffenen und verweisen auf die zentrale Bedeutung der Kommunikation für das Dyadische Coping.

 


Positives DC bei COPD:

 

  • Gemeinsames DC: „Die letzte Exazerbation haben mein Partner und ich gemeinsam durchgestanden.“

 

  • Supportives DC: „Wenn ich beim Treppensteigen schlechter Luft bekomme, erinnert mich mein Partner an die Lippenbremse.“

 

  • Delegiertes DC: „Wenn ich mich morgens zu kraftlos fühle, deckt mein Partner den Frühstückstisch.“

 


Negatives DC bei COPD:

 

  • Ambivalentes DC: „Mein Partner ermuntert mich zwar immer wieder zum Spazierengehen, aber dann ärgert er sich über meine vielen „Atem-Pausen“ unterwegs.“

 

  • Hostiles DC: „Hättest Du nicht so viel geraucht, müßte ich Dich jetzt nicht so oft zum Arzt begleiten.“

 

  • Floskelhaftes DC: „Ich mach´ das schon, laß mal, wird schon werden …“

 


Wie unterstützt die Psychopneumologie konkret das Dyadische Coping?

 

Für die Psychopneumologie ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, Patienten und ihre Angehörigen beim Dyadischen Coping zu unterstützen.

 

So sollte die Beziehungsqualität zwischen Patient und „Kümmerer“ in der psychopneumologischen Anamnese routinemäßig erfaßt werden. (Leitfrage: „Wie geht Ihr Partner üblicherweise mit der Krankheitssituation XYZ um?“)

 

Folgendes Vorgehen kann zu einer Stärkung des Dyadischen Copings beitragen:

 

  • Den Fokus auf positive Paarinteraktionen lenken.
  • Partnerschaftsinterne und –externe Belastungen durch die Krankheit ergründen.
  • Den Partner in die Vermittlung von Krankheitsmodellen und in die Psychoedukation einbeziehen.
  • Den Partner für die Therapiemotivation gewinnen.
  • Den Partner als wichtige Unterstützung für das individuelle Coping des Patienten (Adaption, Akkommodation) und für die Adhärenz bei chronischer Erkrankung ermutigen.

 


Welche DC-Interventionen können eingesetzt werden?

 

Inzwischen gibt es manualisierte paarbasierte Interventionen zur Förderung des Dyadischen Copings, vor allem bei chronischen Krebserkrankungen: 

 

  • Zimmermann T & Heinrichs N, Seite an Seite (5 Sitzungen und 1 Auffrisch-Sitzung),
  • Geuenich K, Krebs gemeinsam bewältigen (5-Schritte-Programm).

 

Wie die unten angegebenen Studien zum Dyadischen Coping bei chronischen Lungenerkrankungen nahelegen, könnten auch COPD-, Asthma-, Lungenfibrose-Patienten und ihre Partner von intensiveren paarbezogenen Interventionen profitieren.

 

Unterstützungsangebote mit Blick auf das Dyadische Coping bei Chronischen Lungen-Erkrankungen finden Betroffene derzeit am ehesten bei Selbsthilfe-Gruppen und Patienten-Organisationen. Ein gezieltes Angebot für Angehörige zur Stärkung des Dyadischen Copings ist beispielsweise der „Kommunikations-Leitfaden für Kümmerer“. Er kann auf der Website der Patienten-Organisation „Alpha-1 Deutschland“ kostenlos heruntergeladen werden.



Themenverwandte Beiträge

 


 


Beitragschronik

 

  • Erstveröffentlichung: Auf der Website „Sauerstoff und Sinn“


  • Aktualisierung: 17.2.2022

 

 

Quellen:

 

  • Bodenmann, G. (2008). Dyadic coping and the significance of this concept for prevention and therapy. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 16(3), 108-111.

 

  • Meier, C., Bodenmann, G., Mörgeli, H., & Jenewein, J. (2011). Dyadic coping, quality of life, and psychological distress among chronic obstructive pulmonary disease patients and their partners. International journal of chronic obstructive pulmonary disease, 6, 583.


  • Vaske, I., Thöne, M. F., Kühl, K., Keil, D. C., Schürmann, W., Rief, W., & Stenzel, N. M. (2015). For better or for worse: a longitudinal study on dyadic coping and quality of life among couples with a partner suffering from COPD. Journal of Behavioral Medicine, 38(6), 851-862.


  • Holm, K. E., Wamboldt, F. S., Ford, D. W., Sandhaus, R. A., Strand, M., Strange, C., & Hoth, K. F. (2013). The prospective association of perceived criticism with dyspnea in chronic lung disease. Journal of psychosomatic research, 74(5), 450-453.


  • Zimmermann, T., & Heinrichs, N. (2008). Seite an Seite-eine gynäkologische Krebserkrankung in der Partnerschaft gemeinsam bewältigen: Ein Ratgeber für Paare. Hogrefe Verlag.


  • Geuenich, K. (2014). Krebs gemeinsam bewältigen. Wie Angehörige durch Achtsamkeit Ressourcen stärken.

 


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