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Psychopneumologie Lexikon: E wie Emotionen

Monika Tempel • März 03, 2022

Chronische Lungenerkrankungen und Emotionen sind untrennbar miteinander verbunden. Beispiele in diesem Zusammenhang sind Angst, Trauer, Wut oder Trotz.

   

Emotionen: ein Definitionsversuch


Der Begriff „Emotion“ wird häufig gleichbedeutend mit den Begriffen „Gefühl“ oder „Affekt“ verwendet. Diese Begriffsungenauigkeit spiegelt in etwa die Tatsache wider, daß es keine einheitliche Theorie oder allgemein anerkannte Definition von Emotion gibt.

 

Am ehesten besteht Einigkeit über die folgenden Zuschreibungen:

  • Emotionen sind bewußte oder unbewußte Prozesse.
  • Sie ermöglichen einem Individuum die schnelle Einschätzung, ob eine Situation für die jeweiligen Bedürfnisse und Ziele bedeutsam ist.

 

Emotionen umfassen folgende Komponenten:

  • Körperliche Komponente (vegetative Reaktion, z. B. Pulsschlag, oder ZNS-Prozeß, z. B. Aktivierung eines bestimmten Gehirnareals),
  • Kognitive Komponente (Bewertung der Situation als bedrohlich oder harmlos, als angenehm oder unangenehm),
  • Antriebs-Komponente (Ausdrucksverhalten, z. B. Mimik, Gestik oder Handlung, z. B. Kampf, Flucht),
  • Erlebens-Komponente (subjektives „Gefühl“).

 

Manchmal findet man die Begriffe „primäre Emotionen“ oder „Basis-Emotionen“. Dazu zählen: Freude, Interesse, Überraschung, Furcht, Ärger, Trauer, Ekel. Diese primären Emotionen zeigen bereits Säuglinge und Kleinkinder.

 

Unterschieden wird zudem in:

  • Emotion als aktueller Zustand (state) - Beispiel: Ein COPD-Patient empfindet Freude über die abgeklungene Exazerbation.
  • Emotion als Disposition (trait), die unter bestimmten Bedingungen zu einem bestimmten emotionalen Zustand führt – Beispiel: Ein grundsätzlich ängstlicher COPD-Patient neigt bei anstrengungsbedingter Atemnot zu Panik.

 


Typische Emotionen bei chronischen Lungen-Erkrankungen


Bei chronischen Lungen-Erkrankungen werden vor allem folgende Emotionen ausgelöst:

  • Angst (von Verunsicherung, Beunruhigung, Besorgnis, Ängstlichkeit bis zu Panik und Vermeidung),
  • Trauer, Depression (von Betroffenheit, Bedrückung bis hin zu Hilflosigkeit, Rückzug, Resignation oder Selbstanklage und Selbstbestrafung),
  • Wut (von Ärger, Hadern bis zu Ohnmacht und Lähmung),
  • Trotz (in Form von Ablehnung – oder als Widerstandskraft im Sinne von Zuversicht und Optimismus).

 


Krankheitsverknüpfte Emotion „Angst“: Wie geht die Psychopneumologie damit um?


Die Emotion „Angst“ wird bei chronischen Lungen-Erkrankungen häufig im Zusammenhang mit Atemnot genannt.

 

Hier brauchen Patienten vor allem Sicherheit, das heißt:

  • Vertrauen in die Kompetenz der Behandler,
  • Kohärenzgefühl (Ich verstehe, was geschieht! Ich kann es bewältigen! Es ergibt einen Sinn!),
  • Entscheidungshilfen (Aktions-Plan).

 

Ein typischer Behandlungsansatz ist die Arbeit mit Imaginationen.

Es wird ein Bild für die Angst gesucht (z. B. das Atemnot-Monster, das den Weg versperrt) und für den Umgang mit der Angst (z. B. das Atemnot-Monster in einem Karren auf dem Weg hinter sich herziehen).

 

Vorteile der Imagination „Atemnot-Monster“:

  • Die Angst wird nicht verleugnet, sondern bewußt wahrgenommen.
  • Der Angst wird ein Platz (im Karren) zugewiesen.
  • Die Last der Angst wird ernstgenommen (Das schwere Atemnot-Monster im Karren schränkt die Geschwindigkeit und Beweglichkeit des Patienten ein).
  • Der Patient behält – trotz der Einschränkungen durch die Angst – die Hoheit über die Richtung seines Weges bei (langsamer, mit mehr Pausen zum selbstgewählten Ziel gelangen).

 


Krankheitsverknüpfte Emotion „Trauer“: Wie geht die Psychopneumologie damit um?


Bei chronischen Lungen-Erkrankungen tritt die Emotion „Trauer“ (Depression) häufig im Zusammenhang mit Verlusten (von Leistungsfähigkeit, Mobilität, Attraktivität, Status, sozialen Beziehungen) auf.

 

Patienten brauchen dann vor allem Ermutigung durch:

  • Eine Stabilisierung des Selbstwertgefühls,
  • Hoffnung.

 

Als Behandlungsansatz eignen sich Elemente der Gestalt-Therapie, beispielsweise die „Zwei-Stühle-Technik“.

In der Übung „Die Depression als Gast in meinem Haus“ nimmt der Patient abwechselnd auf dem einen Stuhl als er selbst (als Betroffener) Platz; auf dem anderen Stuhl als „Depression“ (als Gast).

Alle Gefühle und Gedanken, die bei den jeweiligen Positionen auftauchen, können zur Klärung und Bearbeitung der Emotion beitragen.



Krankheitsverknüpfte Emotion „Wut“: Wie geht die Psychopneumologie damit um?


Die  Emotion „Wut“ tritt meist im Zusammenhang mit Macht-Ohnmachts-Konflikten auf.

 

Hier brauchen Patienten vor allem Entlastung durch:

  • eine emotionale Entlastung (ein Ventil),
  • eine angemessene Stabilisierung des Selbstwerts.

 

Gerade Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen müssen lernen, auch im übertragenen Sinne „Dampf abzulassen“. Widerstandsatmen (mit Hilfe von Lippenbremse, Strohhalm oder PEP-Ventil) kann genutzt werden, um bei jedem Ausatmen körperlich die Lungen-Entblähung zu unterstützen und psychisch emotionalen „Dampf abzulassen“.

Hier bewährt sich ein Kollaborativer Ansatz (Atemphysiotherapie und Psychopneumologie), bei dem die psychodynamischen Hintergründe erarbeitet und in die täglichen Atem-Übungen sinnvoll integriert werden.

 


Krankheitsverknüpfte Emotion „Trotz“: Wie geht die Psychopneumologie damit um?


Die Emotion „Trotz“ kann sich in zwei Richtungen auf den Verlauf bei chronischen Lungen-Erkrankungen auswirken:

  • ungünstig (z. B. in Form von Non-Adhärenz = fehlende Therapietreue),
  • günstig (z. B. in Form von aktivem Coping).

 

Bei Non-Adhärenz bewähren sich Methoden aus der Motivierenden Gesprächsführung (Motivational Interviewing = MI). Beispiele sind Motivations-Waage, Motivations-Zielscheibe, usw.

 

Zeigt sich die Emotion „Trotz“ in der Gestalt von Resilienz, so erübrigen sich psychopneumologische Interventionen. Denn resiliente Patienten mit angemessenen Coping-Strategien setzen ihre Emotionen in der Regel bereits für den bestmöglichen Umgang mit der chronischen Lungen-Erkrankung ein.

 


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Beitragschronik


  • Erstveröffentlichung: 27.2.2022

 


Quellen:

Joraschky, P. (2017). Kranker Körper-kranke Seele: Psychotherapie mit körperlich Kranken. Springer-Verlag.

Zittlau, K. (2019). Die Krankheitsbewältigung unterstützen: Theorie und Praxis des professionellen Umgangs mit chronisch Kranken. Klett-Cotta.

 

 

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