Blog-Layout

Tuberkulose und Psyche: Konsequenzen der Therapie-Einleitung

Monika Tempel • März 10, 2022

Wie wirkt sich die Therapie-Einleitung bei Tuberkulose auf das körperliche, emotionale und soziale Befinden der Betroffenen aus?


Therapie-Einleitung

 

Nach vielen Wochen oder gar Monaten mit ungeklärten Symptomen, nach Gewichtsverlust und Leistungsknick, nach bodenloser bleierner Müdigkeit und zunehmender Besorgnis haben die Untersuchungen schließlich eine Tuberkulose-Infektion nachgewiesen. Damit beginnt ein neue Etappe der Patienten-Reise…



„Ich hatte bei einer offenen Lungentuberkulose keine Wahl.“

 

„Die Therapieentscheidung wurde mir abgenommen. Ich hatte bei einer offenen Lungentuberkulose keine Wahl. Der Internist meldete mich in der Lungenfachklinik an und die behandelnden Ärzte leiteten die Therapie ein. In der Lungenfachklinik wurden die weiteren Schritte und der Ablauf der nächsten Tage, Wochen und Monate ausführlich besprochen - auch im Beisein meiner Familie.“

 

So oder ähnlich (wie Carolin Fuchs das unmittelbare Vorgehen nach der Diagnose schildert) erleben viele Tuberkulose-Patienten die Therapie-Entscheidung und die Einleitung der Behandlung.

 

Im aktuellen RKI-Ratgeber „Tuberkulose“ liest sich das etwa folgendermaßen:

 

Therapie

Tuberkulose ist immer eine behandlungsbedürftige Erkrankung, auch in der Schwangerschaft. Ihre Behandlung erfolgt grundsätzlich mit einer Kombination von Medikamenten…

Entscheidende Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung sind die Wirksamkeit der eingesetzten Medikamente, eine gute Verträglichkeit und ein aktives Management unerwünschter Arzneimittelwirkungen sowie die Mitarbeit der erkrankten Person (gute Compliance bzw. Therapieadhärenz). Es ist entscheidend, dass die Medikamente korrekt, in der richtigen Dosierung und über die gesamte Behandlungsdauer zuverlässig eingenommen werden. Bestehen Zweifel an einer regelmäßigen Medikamenteneinnahme, sollte diese unterstützt bzw. überwacht (als Directly Observed Treatment, DOT) erfolgen…

 

Meldepflicht gemäß IfSG

Dem Gesundheitsamt wird gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG die Erkrankung und der Tod in Bezug auf eine behandlungsbedürftige Tuberkulose namentlich gemeldet, auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt. Zusätzlich ist gemäß § 6 Abs. 2 IfSG dem Gesundheitsamt mitzuteilen, wenn Personen, die an einer behandlungsbedürftigen Lungentuberkulose leiden, eine Behandlung verweigern oder abbrechen…

 

Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen

1. Präventive Maßnahmen

Entscheidend für eine effektive Tuberkulosekontrolle sind die rasche Entdeckung Erkrankter, die Isolierung infektiöser Patientinnen und Patienten sowie der schnelle Beginn einer leitliniengerechten, wirksamen Therapie. Darüber hinaus ist es wichtig, enge Kontaktpersonen im Umfeld einer infektiösen Tuberkulose zu identifizieren und zu untersuchen, um Infektionsquellen zu identifizieren, Transmissionsketten zu erkennen und zu unterbrechen und Folgeinfektionen bzw. -erkrankungen rechtzeitig und adäquat zu behandeln…“

 

[Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Tuberkulose.html]

 

Damit ist von vorneherein klar: Die Erkrankung an einer Tuberkulose ist in vielerlei Hinsicht keine „Privatangelegenheit“ des Patienten.

 

Betroffene sind plötzlich mit mehreren Themen konfrontiert, die in Zeiten einer Virus-Pandemie zwar vertrauter klingen, jedoch üblicherweise außerhalb der typischen Patienten-Erfahrungen mit Atemwegs- und Lungenerkrankungen lagen und liegen:


  • Isolation,
  • Behandlungspflicht,
  • Meldepflicht,
  • Identifizierung und Behandlung von Kontaktpersonen.

 

Zum Diagnosezeitpunkt sind die Betroffenen meist bereits körperlich und psychisch stark beeinträchtigt. Für diese Patienten ergeben sich nun im Rahmen der Therapie-Einleitung zusätzliche emotionale Belastungen.

 


Isolation: „Die nächsten Wochen waren mit Abstand die stressigste Zeit meines Lebens .

 

„Ich war infektiös und wollte nicht riskieren, andere anzustecken, also blieb ich zu Hause in Quarantäne…“

 


Behandlungspflicht: „Es gibt keine Wahl zwischen unangenehmen Nebenwirkungen und dem Gefühl, so krank zu sein, wie ich damals!“

 

„Der Beginn der Behandlung war besonders hart, denn ich fühlte mich immer noch krank und lethargisch, und die Medikamente machten mir zu schaffen, wobei die Übelkeit am schlimmsten war.“

 


Kontaktpersonen: „Ich litt unter schrecklichen Schuldgefühlen gegenüber allen, die ich angesteckt habe.“

 

„Meine Patienten-Reise endete nicht mit meiner erfolgreichen Behandlung, denn die Untersuchung meiner Kontaktpersonen ergab zahlreiche positive Testergebnisse. Die meisten von ihnen mussten wegen latenter (schlummernder) Tuberkulose behandelt werden.“

 

Diese Patienten-Erfahrungen deuten an, welche Belastungen die notwendigen Therapie-Maßnahmen bereithalten können. Der Streßpegel kann erheblich steigen, sei es durch die Isolationspflicht, durch unerwünschte Nebenwirkungen der Tuberkulostatika oder durch Befürchtungen im Hinblick auf Kontaktpersonen.

 


Unterstützung während der Therapie-Einleitung bei Tuberkulose

 

Welche Möglichkeiten einer psychopneumologischen Begleitung bieten sich während dieser streßbelasteten Phase bei Tuberkulose an?

 

Ein breites Spektrum von Emotionen müssen Betroffene möglicherweise (neben dem Umgang mit den körperlichen Symptomen) nach der Therapie-Einleitung bewältigen:


  • Rückzug,
  • Introversion.
  • Scham,
  • Schuldgefühle.

 

Wichtig für die Begleitung der Betroffenen in dieser Phase ist wiederum die Beachtung der grundsätzlichen Interventionen zur Förderung der psychischen Gesundheit, wie sie bereits im ersten Teil dieser Blog-Serie „Tuberkulose und Psyche“ dargestellt wurden.

 

Spezifische Empfehlungen für einen patienten-zentrierten Ansatz finden sich beispielsweise im „Handbuch Tuberkulose für Fachkräfte an Gesundheitsämtern“.

 

Dort sind u. a. folgende wichtige Prinzipien aufgeführt:


  • „Gespräche – Schlüssel für eine erfolgreiche Arbeit der Tuberkulose-Beratungsstelle“,
  • „Krankheitseinsicht wächst phasenweise“.

 

Die Ausführungen im Handbuch sprechen für sich und werden deshalb hier sinngemäß auszugsweise kurz wiedergegeben:

 

Die Tuberkulose bietet auf dem Sektor der Selbstwahrnehmung besondere Probleme, denn „tuberkulosetypische“ Einzelsymptome gibt es nicht.

 

Oftmals veranlassen erst Alarmsymptome wie stechende Brustschmerzen (bei Beteiligung der Pleura) oder Bluthusten einen Arztbesuch.

 

Hierzu wieder eine Patienten-Erfahrung: „Als ich in der folgenden Woche erneut Blut hustete, machte ich mir Sorgen und ging noch am selben Abend in die Notaufnahme. Dort wurde meine Lunge geröntgt, und man sagte mir, daß einige "auffällige Befunde" vorlägen. Ich wurde sofort in die Klinik eingeliefert und bereits am nächsten Tag mit Verdacht auf Tuberkulose isoliert. Dort blieb ich zwei Wochen lang, obwohl ich nicht wirklich glaubte, daß ich infiziert sein könnte. Die drei Sputumproben, die ich abgab, waren jedoch positiv.“

 

Auch dann trifft die Diagnose „Tuberkulose“ die meisten Menschen „wie ein Keulenschlag“; sie erzeugt Angst, Ratlosigkeit und Ohnmachtsgefühle.

 

Der Diagnose wird umso eher mit Verleugnung oder Abwehr begegnet, je weniger Beschwerden vorhanden waren, und je unsicherer die Diagnose ist.

 

Gerade bei Diagnosen, die bei asymptomatischen Patienten bei Umgebungsuntersuchungen oder anderen Anlässen der aktiven Fallsuche gestellt werden, kommt es deshalb auf eine eingehende Demonstration des Befundes und eine einfühlsame Beratung an…

 

… Wenn der Widerstand gegen die Fakten bricht und die Verleugnung der Erkrankung an Tuberkulose nicht weiter aufrechterhalten werden kann, werden manche Patienten von heftigen Emotionen überwältigt:


  • Zorn,
  • Wut,
  • Scham,
  • Schuldgefühle,
  • Niedergeschlagenheit.


Diese Gefühle können kürzer oder auch länger die Situation bestimmen, bevor der Patient sich die Diagnose „zu eigen“ macht, sich arrangiert und nach einem realistischen Weg aus dem Dilemma sucht. Mancher Patient bleibt auf halbem Wege stehen oder arrangiert sich nur oberflächlich und von kurzer Dauer.

 

Es ist wichtig, jeden einzelnen Betroffenen an der Station der Patienten-Reise abzuholen, an der er sich gerade befindet.

 

Dazu ist es unerläßlich:

  • wahrzunehmen, welche Unterstützung der Patient zu seiner psychischen und sozialen Rehabilitation neben den Medikamenten zur Heilung der Tuberkulose benötigt,
  • Umgebungsuntersuchungen möglichst auf die engen Kontaktpersonen zu begrenzen,
  • den zu erwartenden Nutzen einer Ausdehnung der Umgebungsuntersuchung auf weitere Personen gegen den eventuell irreparablen Schaden für die soziale Stellung des Patienten abzuwägen,
  • gegenüber den zu untersuchenden Kontaktpersonen absolute Verschwiegenheit über seine Person zu wahren,
  • die Wiedereingliederung des Patienten und seine soziale Teilhabe aktiv zu fördern, wenn die ansteckende Krankheitsphase vorüber ist und das soziale Umfeld dem Patienten nach Bekanntwerden seiner Diagnose mit Angst und Unsicherheit begegnet.


[Quelle: Forßbohm, M., Loytved, G., & Königstein, B. (2009). Handbuch Tuberkulose. Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, Düsseldorf.]

 

Weshalb es wichtig ist, daß alle Beteiligten im Rahmen der Tuberkulose-Behandlung einen geschärften Blick auf die psychosozialen Aspekte der Erkrankung richten und entsprechende Unterstützung anbieten, begründet die Tuberkulose-Patientin Carolin Fuchs folgendermaßen:

 

„Ich hatte und habe zum Glück den Rückhalt und die Unterstützung meiner Familie. Aber wer alleine oder auf Hilfe angewiesen ist, fühlt sich wahrscheinlich ziemlich verloren… Auch die Gesundheitsämter, die oftmals mit involviert sind, sollten entsprechend mit eingebunden werden. Ich denke, dass alle Beteiligten sensibilisiert werden müssen, um eine gute Behandlung und Betreuung der Patienten UND Angehörigen gewährleisten zu können.“

 

Bei diesen Überlegungen hat es Carolin Fuchs nicht belassen. Wie bereits im ersten Blog-Beitrag dieser Serie zu „Tuberkulose und Psyche“ erwähnt, hat sie ein Selbsthilfe-Projekt gestartet: Mit Tuberkulose leben. Dieses Projekt wird sie auch in der nächsten Ausgabe der Patienten-Zeitschrift „Atemwege und Lunge“ in einem Artikel vorstellen.

 

An dieser Stelle weise ich nochmals ausdrücklich auf den Internet-Auftritt hin, mit dem Carolin Fuchs Betroffene vernetzen möchte. Denn:  „Mit Tuberkulose lebt man ein Leben lang.“

 

 

Im dritten Beitrag der Blog-Serie „Tuberkulose und Psyche“ geht es weiter mit schwerwiegenden emotionalen Belastungen im Behandlungsverlauf und den Möglichkeiten der Unterstützung durch die Psychopneumologie.

 


Themenverwandte Beiträge

 




 

 

Beitragschronik

 

  • Erstveröffentlichung: 10.3.2022

 

 

Deine Fragen und Anmerkungen, Deine Kritik und Deine Themenwünsche sind herzlich willkommen!

Kontaktieren Sie uns

Patientin mit Sauerstoffsonde
von Monika Tempel 23 Apr., 2024
Was lange währt: „Pflegewissen Pneumologie“ ist im Springer-Verlag in der 2. Auflage erschienen.
Brille auf Zeitungen abgelegt
von Monika Tempel 20 Feb., 2024
Warum das Themenheft „Lunge und Psyche“ perfekt zum diesjährigen Motto „Pneumologie – sektorenübergreifend, modern und lebendig“ paßt.
Bibliothek mit rotem Buchstabe Z
von Monika Tempel 20 Dez., 2022
Der letzte Buchstabe im Alphabet steht im Psychopneumologie Lexikon nicht für ein Ende, sondern für einen Anfang: „Zukunftsmusik“ für COPD, IPF, AATM & Co.
Bibliothek mit rotem Buchstabe W
von Monika Tempel 13 Dez., 2022
Wieder atmen lernen! Das gelingt manchmal nur in einem langwierigen Prozeß und dank interprofessioneller Begleitung.
Blaue Sportschuhe
von Monika Tempel 06 Dez., 2022
„Emsige Biene“ oder „Stubenhocker“? 40 Aussagen zum Nachdenken und Umdenken.
Glühbirne mit sechs Mindmap-Blasen
von Monika Tempel 29 Nov., 2022
Wie Mikro-Training einen Beitrag zu einer Pneumologischen Rehabilitation der Zukunft leisten könnte.
Bibliothek mit rotem Buchstabe V
von Monika Tempel 22 Nov., 2022
Welche Schlüsse zieht die Verhaltensmedizin auf der Grundlage des biopsychosozialen Modells für den Umgang mit chronischen Lungen-Erkrankungen?
Hände mit YES und NO
von Monika Tempel 08 Nov., 2022
Was geschieht, wenn Dein Fokus darauf liegt, was Du anders machst, und nicht darauf, Deine Symptome zu verringern?
Bibliothek mit rotem Buchstabe U
von Monika Tempel 08 Nov., 2022
Wie umgehen mit dem unausweichlichen Thema „Ungewissheit“ bei chronischen Lungen-Erkrankungen?
Welt-COPD-Tag 2022 Logo
von Monika Tempel 01 Nov., 2022
Das Motto des Welt-COPD-Tages 2022 lenkt den Blick auch auf ein heikles Thema.
Weitere Beiträge
Share by: