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Singen für Lunge und Psyche: Was sagen die Forschungsdaten?

Monika Tempel • Apr. 05, 2022

Wissenschaftliche Befunde zu den Effekten des Singens auf das Wohlbefinden von Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen.


Datenlage zum Konzept „Singen für Lungen-Gesundheit“

 

Erfahrungsberichte und einzelne Studien liefern eine gut begründete Theorie des Konzeptes „Singen für die Lunge“. Der folgende Beitrag zeigt anhand von Übersichtsstudien, welche Effekte auf das körperliche und psychische Befinden nachweislich zu erwarten sind.

 

Dabei folgt er dem systematischen Vorgehen, wie es im Blog-Beitrag „COPD und Depression: Verläßliche Informationen für Betroffene“ beschrieben, beschränkt sich allerdings auf:


  • Systematische Übersichtsarbeiten,
  • Positionspapiere, Evaluationsstudien,
  • Nationale Projekt-Studien.

 


Singen für Lungen-Gesundheit: Systematische Übersichtsarbeiten

 


Cochrane Review

 

Die Zusammenfassung des Cochrane Reviews zur Frage der Effekte von Singen bei COPD lautet in Einfacher Sprache etwa so:

 

„Beim Singen sorgt die Lunge für den Luftstrom, um mit der Stimme musikalische Worte oder Töne zu erzeugen. Singen kann eine große Anstrengung für Muskelkontraktion und Koordination erfordern. Für Menschen mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) kann dies ähnlich nützlich sein wie Atemübungen. Dem Singen wird eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt, aber wir brauchen Beweise dafür, bevor wir es speziell zur Behandlung von Gesundheitszuständen empfohlen werden kann.

 

Wir wollten untersuchen, ob sich Singen auf die Lebensqualität oder die Atemnot von Menschen mit COPD. Wir schlossen drei Studien mit insgesamt 112 Teilnehmern ein. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip einem Gesangstraining oder einer nicht

singenden Kontrollgruppe zugeteilt. Bei den Kontrollgruppen handelte es sich entweder um einen Filmworkshop, Handarbeit oder um keine Betätigung. Das Singen fand in Gruppen statt, ein- bis zweimal pro Woche für eine Stunde, mindestens sechs Wochen lang.

 

Die Ergebnisse der Studien waren sehr unterschiedlich, und wir waren nicht in der Lage, viele Ergebnisse in 'Meta-Analysen' zusammenzufassen. Eine Meta-Analyse ist eine statistische Analyse, bei der die Ergebnisse von zwei oder mehr separaten Studien zu einem gepoolten Ergebnis zusammenfasst.

 

Ein paar Studien zeigten Verbesserungen bei einigen Aspekten der Lebensqualität, während andere keine Verbesserung erbrachten. Die Atemlosigkeit wurde nur in einer Studie gemessen, und es wurde keine Verbesserung festgestellt.

 

Die Studien berichteten nicht darüber, ob die Wirkungen über einen längeren Zeitraum nach Beendigung des Gesangstrainings anhielten. In keiner Studie wurde über Nebenwirkungen des Singens berichtet, so daß das Singen offenbar für Menschen mit COPD sicher zu sein.

 

Die Qualität der Studien war gering aufgrund der niedrigen Teilnehmerzahl und fehlender Informationen über die Methoden und einige der Ergebnisse.

 

Wir konnten nicht genügend Beweise finden, um die Wirkung des Singens bei Menschen mit COPD zu bestimmen. Es sind weitere Studien erforderlich, die sich auf eine größere Anzahl von Personen konzentrieren sollten.“

 

[Quelle: McNamara, R. J., Epsley, C., Coren, E., & McKeough, Z. J. (2017). Singing for adults with chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database of Systematic Reviews, (12). – Übertragung ins Deutsche mit Unterstützung von DeepL.com]

 


Erkenntnis für Betroffene: Die sehr zurückhaltend formulierten Ergebnisse sind auf die hohen Qualitätsansprüche der Cochrane Reviews an die untersuchten Studien zurückzuführen. Immerhin erbrachten einige Studien offensichtlich Verbesserungen bei der Lebensqualität durch „Singen für die Lunge“.

 


Systematisches Review

 

Die Zahl der Gesangsgruppen „Singing for Lung Health“ hat sich in Großbritannien rasch vergrößert. Anfang 2016 wurde eine Konsensgruppe einberufen, die sich mit wichtigen Fragen zu Besonderheiten der SLH-Gruppen, zur vorhandenen Datenlage und Evidenzbasis, zu notwendigen Maßnahmen mit Blick auf Evaluation, sowie mit Ausbildung, Fachwissen und Kompetenzen von Singgruppenleitern befaßte.

 

Es wurde eine systematische Überprüfung der Evidenzbasis für SLH durchgeführt. Dazu wurden sechs Studien einbezogen. Die quantitativen Daten deuten darauf hin, daß Singen das Potenzial hat, die Gesundheitsbezogene Lebensqualität (insbesondere in Bezug auf die körperliche Gesundheit) und das Ausmaß der Ängste zu verbessern, ohne signifikante Nebenwirkungen zu verursachen.

 

In vielen der vorhandenen Studien besteht ein erhebliches Risiko der Verzerrung (Bias) aufgrund der geringen Anzahl der Probanden und der Heterogenität des Studiendesigns.

 

Qualitative Daten (ermittelt durch Interviews und Befragungen) deuten darauf hin, daß das Singen eine angenehme Erfahrung für die Patienten ist. Sie berichten durchweg, daß es ihnen hilft, mit ihrer Erkrankung besser umzugehen (Coping). Größere und längerfristige Studien sind erforderlich.

 

[Quelle: Lewis, A., Cave, P., Stern, M., Welch, L., Taylor, K., Russell, J., ... & Hopkinson, N. S. (2016). Singing for Lung Health—a systematic review of the literature and consensus statement. NPJ primary care respiratory medicine, 26(1), 1-8. – Übertragung ins Deutsche mit Unterstützung von DeepL.com]



Erkenntnis für Betroffene: SLH hat das Potenzial, sich positiv auf das Leben lungenkranker Menschen, ihren Gesundheitszustand, ihre Krankheitsverarbeitung (Coping) und ihre soziale Teilhabe auszuwirken. Obwohl die ersten Forschungsergebnisse ermutigend sind, müssen künftige belastbare Daten zur Wirksamkeit von SLH erhoben werden, bevor sie in klinischen Leitlinien empfohlen werden kann.

 


Singing for Lung Health (SLH): Evaluationsstudie

 

Die Evaluationsstudie der British Lung Foundation (BLF) untersuchte die Effekte der Teilnahme an SLH-Gruppen auf Menschen mit Atemwegserkrankungen. Dazu führte sie in den Jahren 2016-2017 eine Fragebogenerhebung unter 228 Sängern mit Atemwegserkrankungen aus ihren SLH-Gruppen durch.

 

Die Evaluierung des Dienstes ergab, dass die Teilnehmer an den Gruppen von "Singen für die Lungen-Gesundheit" über eine Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und eine Verringerung der Inanspruchnahme des Gesundheitswesens berichten. Es gab jedoch keine signifikanten Verbesserungen bei der allgemeinen Lebensqualität, der Angst, der Patientenaktivierung, der Atemnot oder der Verwendung von Inhalationsgeräten.


[Quelle: Lewis, A., Cave, P., & Hopkinson, N. S. (2018). Singing for lung health: service evaluation of the British lung Foundation programme. Perspectives in Public Health, 138(4), 215-222. – Übertragung ins Deutsche mit Unterstützung von DeepL.com]



Erkenntnis für Betroffene: SLH hat potenzielle gesundheitliche Vorteile. Die Ergebnisse sollten in groß angelegten randomisierten Kontrollstudien weiter untersucht werden.

 


Einige Länder machen vor, welchen Wege die Forschung beschreiten kann, um weitere Daten für den erfolgreichen Einsatz von „Singen für Lunge und Psyche“ zu erheben. Es lohnt sich, die nationalen Projekte mit Aufmerksamkeit zu verfolgen.

 


Singen für Lungen-Gesundheit: Nationale Projekte

 


Groß Britannien (UK): Singing for Better Breathing (SDHRC – Sidney de Haan Research Center for Arts and Health)

 


 


Irland: Sing Strong

 


 


Kanada: Advancing Interdisciplinary Research in Singing (AIRS)

 




Neuseeland: Sing Your Lungs Out

 



 


Der nächste Blog-Beitrag zum Konzept „Singen für Lungen-Gesundheit“ stellt konkrete Projekte im deutschsprachigen Raum vor. Es geht dabei auch um die Herausforderung der Transformation vom Präsenz-Modus in den virtuellen Chorproben-Raum.

 


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Beitragschronik

 

  • Erstveröffentlichung: 5.4.2022



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