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Frei atmen, heilsam singen: Interview mit der Logopädin und Singleiterin Elena Deppe (Teil 1)

Monika Tempel • Apr. 21, 2022

Vom "Atmen als Geschenk" und vom "Heilsamen Singen" erzählt Elena Deppe im ersten Teil des Interviews. 


Dankeschön, liebe Elena Deppe, dass Sie bereit sind, als „Trainerin für gesundes Atmen und Lebensfreude“ auf ein paar Fragen zum Thema „Singen und Lungen-Gesundheit“ einzugehen.

 

Impuls:


Auf Ihrer Website präsentieren Sie „111 Sprüche zum Atmen als Geschenk“. Welcher ist Ihr Lieblingsspruch? Es dürfen auch zwei sein…

 

Elena Deppe:


Mein aktueller Lieblingsspruch ist „Gefühle kommen und gehen wie Wolken am Himmel bei Wind. Das achtsame Atmen ist mein Anker im Hier und Jetzt.“ (Thich Nhat Hanh). Der Atem ist so ein wunderbares Werkzeug, um immer wieder in die innere Ruhe zu finden. Die einfachsten Übungen sind meiner Erfahrung nach häufig die wirkungsvollsten. Alleine dadurch, dass ich meinen Atem aufmerksam wahrnehme, fließt er schon ruhiger. Gerade wenn ich aufgewühlt bin oder traurig, hilft mir die einfache Atemtechnik des achtsamen Atmens: Einatmend bin ich mir bewusst, dass ich einatme. Ausatmend bin ich mir bewusst, dass ich ausatme. Ich begleite meinen Atem ein, zwei Minuten lang innerlich aufmerksam mit den Worten „EIN“ und „AUS“, bis das Gefühl sich verwandelt oder aufgelöst hat.

 

„Der Atem ist der König des Geistes“, (B. K. S. Iyengar), so ein anderes Zitat, das sich auf den engen Zusammenhang des Atems mit der Psyche, dem Denken und Fühlen bezieht. Ich kann also durch bloße Atemwahrnehmung, aber auch durch Atemsteuerung, Einfluss nehmen auf meine Emotionen, auf mein Erleben im Alltag. Das ist eine große Chance, die meiner Meinung nach viel zu wenig genutzt wird.




Impuls:


Mein Lieblingsspruch in Ihrer beeindruckenden Sammlung stammt von Romano Guardini: „Der Atem ist das schwingende Band zwischen Körper, Seele und Geist.“ Damit sind die Grundlagen der Psychopneumologie poetisch umschrieben.


Auch Ihre Selbstpräsentation als „Trainerin für gesundes Atmen und Lebensfreude“ knüpft genau dieses Band zwischen Körper, Seele und Geist. Mit welchen Methoden arbeitet eine „Trainerin für gesundes Atmen und Lebensfreude“?


Elena Deppe:


Das Bild des Atems als „schwingendes Band“, das Körper, Seele und Geist verbindet, finde ich auch besonders schön. Es trifft den Kern meiner Arbeit im Atemtraining und dem Rehabilitations-Lungensport. Schwingende, sanft fließende Übungen stehen hier im Vordergrund, und nicht mechanisch ausgeführte Gymnastik. Jede Körperübung ist immer zugleich auch Atemübung. Weiche, langsame Bewegungen, wie sie auch in der logopädischen Therapie geübt werden, vertiefen den Atem und unterstützen ein Gefühl der Weite.


Neben Übungen aus der Atemtherapie und der Atemgymnastik arbeite ich mit Entspannungstechniken, wie z. B. der progressiven Muskelentspannung, dem Body-Scan (der eigene Körper wird von innen her "abgefühlt" und so angenommen, wie er ist) und geführten Meditationen.


Ich benutze gerne Bilder, nach dem Motto: „Stell Dir vor, Deine Schultern schmelzen langsam nach unten wie Butter in der Frühlingssonne“, oder „Drücke deine Schultern aus wie einen Tafel-Schwamm, sodass die Spannungen wie schmutziges Wasser abfließen können“. Auch Techniken aus dem systemischen Coaching fließen mit ein, z.B. in Form von Fragen, die zum Nachdenken anregen sollen. Was MUSS ich wirklich tun, wo gibt es Spielraum für Veränderungen, wie würde mein Umfeld reagieren, wenn ich mich anders verhalte? Grundsätzlich bin ich immer bereit, alle „Methoden“ beiseite zu lassen und zu schauen, was gerade wirklich gebraucht wird. Manchmal ist es auch einfach nur aufmerksames Zuhören.


Impuls:


Auf der Website schreiben Sie, dass Sie sich selbst durch bewusstes Atmen, entspanntes Singen und sanfte Dehnübungen von gesundheitlichen Beschwerden und starken Asthma-Symptomen befreit haben. Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen interessiert es vermutlich, was für Sie persönlich am hilfreichsten war und welche Erfahrungen Sie an andere Betroffene weitergeben möchten.


Elena Deppe:


Neben Cortison-Sprays und dem konsequenten Einsatz der Lippenbremse war für mich das Loslassen meines Leistungsdrucks sehr wichtig. Zu erkennen, dass ich nicht nur wertvoll und liebenswert bin, wenn ich Leistung bringe und gut funktioniere. Ich habe daran gearbeitet, das Wörtchen „muss“ aus meinem Wortschatz zu streichen und es durch „Ich entscheide mich dafür“ zu ersetzen. Mich nicht mehr als fremdbestimmt begreifen, hat mir geholfen. Genauso wie ich nach und nach gelernt habe, öfter mal freundlich, aber bestimmt „Nein“ zu sagen.


Mehr Pausen einlegen, sich mit den eigenen Grenzen anfreunden, sich selbst liebevoller behandeln, das war auch hilfreich für meine Gesundheit. Ein Prozess, der immer weitergeht…


Mir persönlich hat das Singen sehr geholfen, um aus der Stress-Spirale auszusteigen. Ich habe wieder angefangen, zur Entspannung ganz einfache Lieder aus meiner Kindheit zu singen. In netter Gesellschaft hat das noch viel mehr Spaß gemacht. Ich habe einen Singkreis gefunden, in dem ohne Noten und Leistungsgedanken ganz einfach gesungen wurde. So wie in meiner Kindheit. Dazu gab es Lockerungs- und Entspannungsübungen, und gelacht wurde auch jede Menge. Das hat mir sehr gutgetan. Ich habe mich dann ganz offiziell als Singleiterin über den Verein Singende Krankenhäuser e.V. ausbilden lassen. Dieses internationale Netzwerk hat das Ziel, das gemeinsame leistungsfreie Singen als Teil der Krankheitsbewältigung und Gesundheitsfürsorge zu verbreiten. Das leistungsfreie Singen in Krankenhäusern, Reha-Kliniken und Pflegeeinrichtungen bringt mit einfachsten Mitteln oft ganz viel Lebensfreude zurück.


Neben offenen Singgruppen helfen auch Lungensport- und Selbsthilfe-Gruppen meiner Erfahrung nach sehr, sich nicht allein mit seinen Herausforderungen zu fühlen.


Impuls:


Wer mit dem Begriff „Chanten“ nichts anfangen kann, findet auf Ihrer Website einen informativen Blog-Beitrag zu diesem entspannten Singen ohne Noten. Was ist beim Chanten oder Chanting Ihrer Einschätzung nach besonders wirksam? Gibt es etwas, das Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen dabei beachten müssen?


Elena Deppe:


Den Begriff „Chanten“ finde ich persönlich nicht so ideal. Er ist ja die eingedeutschte Version vom englischen Begriff „Chanting“, also dem Singen von Gebeten bzw. Mantras. Ich benutze ihn einfach, weil beim Wort „Singen“ häufig die Alarmglocken anfangen zu läuten. Da muss man den Ton halten können, vielleicht sogar Noten lesen, und es sollte möglichst schön klingen.


All das trifft aber eben beim Chanten oder heilsam orientierten Singen nicht zu. In meinen Singkreisen geht es einfach darum, die Stimme für das eigene körperliche und seelische Wohlbefinden einzusetzen. Das ist auch der Kern des sogenannten „Heilsamen Singens“, wo das Singen wieder als ganz natürliches Urbedürfnis des Menschen begriffen wird. Wenn wir einfach wieder anfangen zu singen ohne irgendwelche Vergleiche, trotz eventueller Unsicherheiten, Rost auf der Stimme und schlechten Erfahrungen mit Musikunterricht früher in der Schule, dann werden wir schnell spüren, wie wirkungsvoll dieses alte „Hausmittel“ sein kann.


Singen ist verlängerte Ausatmung. Nach ca. 20 Minuten kontinuierlich gesungenen Lieblingsliedern beginnt der Körper nachweislich damit, Stresshormone abzubauen und eine Art hormonellen Glückscocktail (Serotonin, Dopamin) auszuschütten. Das wurde übrigens schon Ende der 1980er Jahre durch eine Studie der Universität Frankfurt bestätigt, die Speichelproben bei Laien-Sängern vor und nach einer Chorprobe genommen hat (www.karladamek.de/forschung). Nach dem Singen waren die Teilnehmer nicht nur besser gelaunt, sondern produzierten auch verstärkt Antikörper zur Immunabwehr (z. B. Immunglobulin-A). Das bloße Hören von Musik hatte dagegen keinen so deutlich positiven Effekt.


Es gibt zum Glück keine Gegenanzeigen für das Singen mit COPD. Singen ist Muskelarbeit und je öfter man die Stimmlippen singend bewegt, desto leichter wird es. Manchmal ist die Stimme allerdings durch häufige Cortison-Gabe etwas rau und schneller heiser. In fortgeschrittenem Alter wird sie sowieso tiefer und weniger belastbar, gerade wenn nicht viel gesprochen oder gesungen wird. Umso wichtiger ist es, die eigene Stimme häufiger auch singend zu benutzen, um sie fit und jung zu halten. Ich achte bei meinen Singstunden darauf, dass die Tonlage eher gemütlich und tiefer ist, und dass die gesungenen Phrasen nicht so lang sind, bzw. genügend Atempausen gemacht werden. Ganz wichtig ist auch, dass der gemeinsame Klang nicht beurteilt, sondern einfach nur erlebt wird.


Vielen Dank, liebe Elena Deppe für diese persönlichen und hilfreichen Ausführungen zum Thema „Singen für Lunge und Psyche“. Wer mehr über die „Bienenatmung“ oder die „Kakao-Zeremonie“ erfahren möchte, erfährt interessante Details dazu im zweiten Teil des Interviews.


Linkliste:




 


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Beitragschronik

 

  • Erstveröffentlichung: 21.4.2022

 


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