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Psychopneumologie Lexikon: C wie Coping

Monika Tempel • Feb. 13, 2022

Krankheitsverarbeitung spielt eine Schlüsselrolle im Leben mit einer chronischen Lungenerkrankung.  



Warum ist der Blick auf die Krankheitsverarbeitung wichtig?

 

Krankheitsverlauf und Krankheitsverarbeitung beeinflussen sich wechselseitig. Einerseits wirken sich chronische (Lungen-)Krankheiten mit langwierigen und schwierigen Verläufen vielfältig auf das körperliche, psychische und soziale Leben der Patienten aus. Andererseits beeinflußt die Art und Weise, wie Patienten ihre Krankheit annehmen und verarbeiten, wiederum den Verlauf und die Lebensqualität.



Was bedeutet Coping?

 

Coping (im Sinne von Krankheitsverarbeitung, Krankheitsbewältigung) bezeichnet das Bemühen, gegenwärtige oder vorweggenommene (zukünftige) Belastungen durch die Krankheit zu meistern.

 

Der Begriff Coping leitet sich ab vom englischen „to cope“ = fertig werden mit etwas. Er stammt ursprünglich aus der Streß-Forschung, hat sich aber inzwischen auch in der klinischen Psychologie als Fachbegriff für den Prozeß der Krankheitsverarbeitung etabliert.

 

Coping ist ein Prozess, der sich sowohl zeitlich als auch inhaltlich wandeln und entfalten kann.

 


Welche Coping-Strategien gibt es?

 

Coping-Strategien können sich beziehen auf:

 

  • Gefühle (Emotionen)


  • Gedanken (Überzeugungen, Kognitionen)


  • Handlungen (Verhalten, engl. behavior)

 

Daraus ergeben sich beispielsweise Zuordnungen zu emotionsorientierten oder problemlösungsorientierten Bewältigungs-Strategien. Meist überschneiden sich dabei die einzelnen Kategorien (Gefühle – Gedanken – Handlungen).



Wie unterscheiden sich aktive und passive Coping-Strategien?

 

Die Unterscheidung in aktive und passive Coping-Strategien spielt in der klinischen Praxis insofern eine Rolle, als aktive Herangehensweisen meist mit besseren Behandlungsergebnissen verknüpft sind.

 

Beispiele für aktive und passive Coping-Strategien bei chronischen Lungen-Erkrankungen sind:

 

Aktiv

 

  • Kognitive Verarbeitung und Neubewertung: „Ich denke seit meiner letzten Exazerbation darüber nach, wie ich jeden Tag ein bißchen fitter werden kann, um das zu tun, was mir wirklich wichtig ist, z. B. etwas mit meinen Enkeln zu unternehmen.“


  • Aktives Akzeptieren: „Ich bemühe mich, die Abhängigkeit vom Sauerstoffgerät so gut ich kann zu ertragen.“


  • Emotionale Entlastung: „Ich weine schon mal, wenn mir danach ist – anstatt immer nur die Starke zu spielen.“


  • Unterstützung suchen: „Ich spreche mit Freunden über meine COPD, um mich auszutauschen.“


  • Informationssuche: „Ich bitte in der Selbsthilfegruppe um Tips oder frage beim Arztbesuch genau nach – z. B. nach neuen Therapiemethoden.“


  • Sinnsuche/Religiosität: „Ich versuche, trotz allem den Glauben an das Gute zu bewahren und einen Sinn in allem zu entdecken. Manchmal bete ich für mein Wohlbefinden.“


  • Ablenkung: „Ich unternehme in meinen guten Stunden etwas, um nicht zu viel zu grübeln.“

 

Passiv

 

  • Fatalistisches Akzeptieren: „Lungenfibrose ist nicht heilbar – es kann also sowieso nichts mehr getan werden.“


  • Grübeln: „Ich denke pausenlos darüber nach, was passiert, wenn die Atemnot wieder schlimmer wird.“


  • Selbstbeschuldigung: „Ich habe geraucht – also hab ich nichts Besseres verdient.“


  • Bagatellisierung: „Alles halb so schlimm – das ist nur mein Raucherhusten!“


  • Sozialer Rückzug: „Seit ich Sauerstoff brauche, gehe ich anderen Menschen aus dem Weg.“


  • Vermeidung: „Bei Belastung bekomme ich rasch Atemnot – deshalb bleibe ich lieber zuhause auf dem Sofa.“

 


Kann man Coping messen?

 

Es gibt verschiedene Methoden, die versuchen, den Umgang mit Streß bzw. Streß-Situationen zu messen.

 

Am bekanntesten sind:


  • COPE und die Kurzversion BriefCOPE (28 Items = Testaussagen),


  • CISS = Coping-Inventar zum Umgang mit Stress-Situationen (24 Items).

 

Mit dem COPE lassen sich beispielsweise folgende Verarbeitungs-Stile erfassen:


  • Ablenkung
  • Verleugnung
  • Emotionale Unterstützung durch andere
  • Sozialer Rückzug
  • Positive Umdeutung
  • Humor (ganz wichtig!)
  • Aktive Bewältigung
  • Alkohol / Drogen
  • Aktive Unterstützung durch andere
  • Ausleben von Gefühlen
  • Planung
  • Akzeptanz
  • Selbstbeschuldigung
  • Sinnsuche / Religion

 

Bei der Besprechung der Testergebnisse können mit dem Patienten die Vor- und Nachteile des ermittelten Coping-Stils erörtert werden. Ungünstige Verarbeitungs-Strategien („Werkzeuge“) können angepaßt oder durch geeignetere ersetzt werden.

 

CISS (Coping-Inventar zum Umgang mit Stress-Situationen) erhebt drei grundlegende Coping-Stile, die einen spezifischen Blick auf die Bewältigungs-Strategien widerspiegeln:


  • Aufgabenorientiertes Coping,
  • Emotionsorientiertes Coping,
  • Vermeidungsorientiertes Coping (mit den beiden Unterkategorien „sozial-ablenkungsorientiertes Coping“ und „zerstreuungsorientiertes Coping“).

 

Die Aussagekraft dieser Tests im Hinblick auf die Bewältigungs-Strategien von Menschen mit chronischen (Lungen-)Erkrankungen bedarf noch weiterer Forschung.   



Coping-Phasen als „Roter Faden“ der Krankheitsbewältigung

 

Verarbeitungsphasen sind kein Fahrplan durch eine chronische Krankheit. Sie folgen in der Regel nicht schrittweise aufeinander, sondern zeigen für jeden Patienten individuelle Abfolgen. Eine chronische Krankheit ist nie endgültig „bewältigt“.

 

Dennoch lassen sich typische Verarbeitungsphasen beschreiben (zum Beispiel wie im Modell von Schuchardt):

 

  • Was ist eigentlich los..? --- Ungewißheit


  • Ja, aber das kann doch nicht sein…? --- Gewißheit


  • Warum gerade ich…? --- Aggression


  • Wenn…, dann muß aber …! --- Verhandlung


  • Wozu… alles ist sinnlos…! --- Depression


  • Ich erkenne jetzt erst … --- Annahme


  • Ich tue jetzt das … --- Aktivität


  • Wir handeln gemeinsam … --- Solidarität


Im Gespräch mit dem Patienten können die Aufgaben der jeweiligen Phase ermittelt und die geeigneten Verarbeitungsstrategien ausgewählt werden.

 


Coping-Strategien zwischen Assimilation und Akkomodation

 

Assimilation bedeutet, das eigene Verhalten absichtlich, bewußt und kontrolliert zu ändern, um bestimmte Ziele und Vorstellungen beizubehalten. So kann ein Patient beispielsweise am Lungensport teilnehmen, um etwas gegen den Konditionsabbau zu tun. Oder Hilfsmittel (z. B. einen Rollator) einsetzen, um seine Mobilität zu erhalten.

 

Vor allem beim Fortschreiten der Krankheit werden Änderungen der persönlichen Ziele im Sinne einer Akkomodation notwendig. So bedeutet das Akzeptieren einer Behandlungsmaßnahme, wie beispielsweise Langzeit-Sauerstofftherapie, für viele Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen die Aufgabe eines bestimmten Selbstbildes von Stärke, Unabhängigkeit und gesundem Aussehen. Gleichzeitig ermöglicht diese Akkomodation den Patienten mehr Wohlbefinden und Leistungsvermögen.

 

Im Gespräch mit den Patienten ist es wichtig, weder Assimilation noch Akkomodation absolut zu setzen. Es kommt darauf an, welche Form für die jeweilige Krankheitssituation erfolgversprechender ist. Häufig ist sogar erst die Kombination beider Coping-Strategien wirksam.

 


Welche Coping-Strategien sind bei chronischen Lungenerkrankungen hilfreich?

 

Studien legen nahe, daß eine problemorientierte und aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit für Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen günstiger für den Verlauf ist als passive, vermeidende oder verleugnende Verarbeitungs-Strategien.

 

An dieser Stelle kommt die Psychopneumologie ins Spiel:

 

  • Sie ermittelt die Verarbeitungsphase, in der sich der Patient befindet.


  • Sie untersucht den Coping-Stil des Patienten.


  • Sie macht gezielte Angebote zur Unterstützung der Krankheitsverarbeitung.

 


Wie unterstützt die Psychopneumologie konkret das Coping?

 

Zunächst einmal gilt der Grundsatz: Es gibt kein falsches Coping – allenfalls ungünstiges! Auf dieser Grundlage können folgende Aspekte gemeinsam mit dem Patienten beleuchtet werden:

 

  • Was sind meine bisherigen gewohnten Bewältigungs-Strategien (bei Atemnot oder Erschöpfung oder Stimmungstief oder …)?


  • Was hat mir früher geholfen, Krisen durchzustehen?


  • Welche Strategien habe ich bei aktuellen kritischen Situation bereits eingesetzt?


  • Welche Strategien haben sich (bei Atemnot oder bei Fatigue oder bei Schlaflosigkeit, etc…) als brauchbar erwiesen – welche als ungeeignet?


  • Wo liegen meine wichtigsten inneren und äußeren Kraftquellen?


  • Wie kann ich (zeitweise) Abstand zu meinen Problemen gewinnen, um Kraft für die weitere Bewältigung zu sammeln?


  • Wie kann ich meine Coping-Strategien anpassen (z. B. aktiv bleiben – aber mit Pausen)?


  • Welche neuen Coping-Strategien möchte ich erproben (Handlungsplan bei Atemnot, Ängste und Befürchtungen bei Behandlern offen aussprechen, etc…)?

 

In der Praxis geht es darum, mit dem Patienten festzustellen, was für ihn in seiner aktuellen Krankheitssituation hilfreich ist. Wichtig ist es, den Patienten zu unterstützen und zum eigenständigen Handeln zu befähigen und nicht einer abstrakten Vorstellung von „richtigem“ Coping zu folgen – das gibt es nämlich nicht.

 


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Beitragschronik

 

  • Erstveröffentlichung: Auf der Website „Sauerstoff und Sinn“


  • Aktualisierung: 13.2.2022

 


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