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Psychopneumologie Lexikon: P wie Prognose

Monika Tempel • Sept. 27, 2022

Blick in die Zukunft und Blick aus der Zukunft bei chronischen Lungen-Erkrankungen



Wie lange kann ich mit meiner chronischen Lungen-Erkrankung überleben? Genaue Aussagen zur Prognose sind schwierig, da sie von vielen Faktoren abhängen. Jedoch eröffnet möglicherweise eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Themen Gesundheitsrisiko und Lebenserwartung neue Perspektiven für Betroffene und Behandler.

 


Prognose: allgemeine und spezifische Definiton

 

Prognose (aus dem Griechischen: Vorwissen, Voraus-Kenntnis) bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch den Blick in die Kristallkugel: „Was wird in einem (oder in zehn Jahren) sein?“ Diese konstruierte Zukunft kann mehr oder weniger rational abgeleitet sein oder eher eine emotionsbeladene, meist ängstlich getönte Projektion.

 

Im medizinischen Zusammenhang nimmt die Prognose seit alters her eine zentrale Stellung ein. Hier bedeutet Prognose: Einschätzung des Krankheitsverlaufs.

 

Man unterscheidet:


  • gute Prognose (hohe Heilungswahrscheinlichkeit),
  • schlechte Prognose (niedrige Heilungswahrscheinlichkeit),
  • infauste Prognose (fehlende Überlebenswahrscheinlichkeit).

 

Medizinische Prognosen sind allerdings keineswegs endgültig. Sie können sich im Verlauf einer Erkrankung ändern, wenn sich beispielsweise die Behandlungsmöglichkeiten, die Begleiterkrankungen, die Therapietreue des Patienten (= Adhärenz) oder das soziale Umfeld ändern.

Um Prognosen möglichst zuverlässig treffen zu können, bemüht sich die medizinische Forschung um gültige (valide) Vorhersage-Kriterien, sogenannte Prognose-Faktoren.

 


Die Prognose hängt bei chronischen Lungen-Erkrankungen von vielen Faktoren ab.

 

Das Zusammenspiel der Prognose-Faktoren läßt sich am Beispiel der COPD verdeutlichen. Bei dieser chronischen Lungen-Erkrankung betrachten Forscher im Hinblick auf die Prognose vor allem folgende Variablen:

 

  • Pulmorbidom (Störungen der Atemwege und der Lungen),
  • Komorbidom (außerhalb der Lungen gelegene Störungen, Begleiterkrankungen),
  • Alter,
  • Dyspnoe (Atemnot),
  • Body-Mass-Index (BMI).

 

Nach neuesten Erkenntnissen zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede bei Pulmorbidom und Komorbidom im Hinblick auf die COPD-Prognose. Für eine differenzierte Risikobewertung der COPD sollte deshalb auch das Geschlecht berücksichtigt werden.

 


Prognose-Indizes: Kann man die Zukunft bei COPD „berechnen“?

 

COPD-Patienten stellen – im Gegensatz zu Patienten mit Lungenkrebs oder Lungenfibrose – seltener ausdrücklich die Frage, wie lange sie mit der Krankheit überleben können. Anhand verschiedener Werte oder Formel läßt sich die Überlebenswahrscheinlichkeit (Betonung auf WAHRSCHEINLICHKEIT!) ermitteln. Dazu zählen:

 

  • BODE-Index,
  • ADO-Index,
  • DOSE-Index.

 


BODE-Index


Der BODE-Index berücksichtigt vier wichtigste Einflußfaktoren auf die Lebenserwartung von COPD-Patienten. BODE ist ein Kurzwort. Es setzt sich aus den englischen Anfangsbuchstaben der vier Einflußfaktoren zusammen:


  • B für „Body-Mass-Index“ (BMI). Der BMI errechnet sich aus Körpergröße und Gewicht.


  • O für „Obstruction“ (Verengung der Atemwege). Die Verengung der Atemwege wird anhand der Einsekundenkapazität (FEV1) bestimmt.


  • D für „Dyspnoe“ (Atemnot, Luftnot). Die Luftnot wird anhand der „modified Medical Research Council Dyspnea Scale (mMRC-Skala) bestimmt.


  • E für “Exercise capacity” (körperliche Belastbarkeit). Die körperliche Belastbarkeit wird mit dem 6-Minuten-Gehtest gemessen. Der Patient muß sechs Minuten lang auf ebener Strecke laufen. Ein gesunder Erwachsener legt dabei durchschnittlich 700 bis 800 Meter zurück, ein COPD-Patient – je nach Fitness – entsprechend weniger.

 

Welche Ergebnisse liefert der BODE-Index?


Für die einzelnen Einflußfaktoren (B-O-D-E) werden – je nach den ermittelten Werten eines Patienten – Punkte von 0 bis 3 vergeben. Die COPD-Lebenserwartung wird berechnet, indem die Punktezahlen der einzelnen Einflußfaktoren zusammengezählt werden.


Es können Punktzahlen zwischen 0 und 10 erreicht werden. Je niedriger der BODE-Punktwert, umso höher die Lebenserwartung. Der BODE-Index ermöglicht Patienten und Behandlern, den jeweiligen Zustand einzuschätzen.

 

Achtung: Der BODE-Index besiegelt nicht das Schicksal!


Die aktuelle Studienlage belegt, wie bedeutsam das körperliche Aktivitätsniveau für den Verlauf der COPD ist. Deshalb wurde 2009 eine neue Version des BODE-Index vorgeschlagen. Sie stuft den 6-Minuten-Gehtest mit einer höheren Punktzahl ein und setzt die FEV1-Bewertung herab. Im modifizierten BODE-Index können bis zu 15 Punkte vergeben werden.


Therapieerfolge durch Pneumologische Rehabilitation oder durch eine operative Lungenvolumenreduktion spiegelt der BODE-Index deutlich wider.

 


ADO-Index


Der ADO-Index ist eine Kurzversion des BODE-Index und umfaßt nur die Variablen:


  • A für "Age" (Lebensalter),


  • D für "Dyspnoe" (Atemnot),


  • O für "Obstruction" (Obstruktion = Verengung der Atemwege).


Mit diesen drei Kriterien läßt sich das Gesundheitsrisiko eines Patienten (laut Ergebnis einer 12-Jahres-Follow Up-Studie) sogar zuverlässiger beurteilen als mit dem BODE-Index. Im ambulanten Setting (Arzt- oder Physiotherapie-Praxis) ergibt sich damit eine praktikable Möglichkeit, die Betroffenen und Behandlern hilft, den Gesundheitszustand einzuschätzen und Behandlungserfolge zu erfassen.



DOSE-Index


Der DOSE-Index umfaßt die Kriterien:


  • D für "Dyspnoe" (Atemnot),


  • O für "Obstruction" (Obstruktion = Verengung der Atemwege),


  • S für "Smoking" (Rauchen),


  • E für "Exacerbation" (Exazerbation = Krankheitsschub).

 

Dieses mehrdimensionale Prognose-Instrument eignet sich ebenfalls gut für den Einsatz im ambulanten Setting.

 


Mehr als nur FEV1: die prognostische Bedeutung der Spiroergometrie

 

Die Spiroergometrie ist ein diagnostisches Verfahren, bei dem durch Messung von Atemgasen während körperlicher Belastung die Reaktion von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel sowie die Leistungsfähigkeit des Herz-Lungen-Systems qualitativ und quantitativ untersucht wird.

 

Neben den Prognose-Indizes liefert die Spiroergometrie differenzierte Aussagen zum langfristigen Krankheitsverlauf. Üblicherweise liegt das Hauptaugenmerk auf der Einsekundenkapazität (FEV1). Studien verweisen zusätzlich auf die hohe Vorhersagekraft und Unterscheidungsgenauigkeit von Spitzensauerstoffaufnahme und Ventilationsparametern.

 


Prognose ist kein Schicksal!

 

Auf diese Tatsache wurde bereits bei der Vorstellung des BODE-Index hingewiesen. Es gibt viele Möglichkeiten, auf die Prognose Einfluß zu nehmen. Die wichtigsten sind:

 

  • frühzeitige Diagnosestellung (besonders bei Rauchern),


  • effektives Selbst-Management (besonders Exazerbations-Management),


  • körperliche Aktivität,


  • leitlinien-gerechte Therapie,


  • konsequente Behandlung des Komorbidoms.

 


Prognose und Psychopneumologie

 

Im Zusammenhang mit der Prognose kommt die Psychopneumologie an vielen Stellen zum Einsatz:

 

  • bei der Raucherentwöhnung (aktuelles Stichwort: Pre-COPD = Prä-COPD),


  • beim Selbst-Management (v. a. im Rahmen von Streßbewältigung und Depressions-Vorbeugung),


  • bei der Motivation zu körperlicher Aktivität (z. B. Lungensport),


  • bei der Behandlung der psychischen Begleiterkrankungen (Angst, Depression).

 

Äußert ein Patient in der psychopneumologischen Begleitung Ängste und Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Prognose, so bietet sich ganz besonders eine Methode an, die momentan unter dem Namen „Regnose“ Verbreitung findet.

 


Prognose – Regnose: Was ist das genau?

 

Prognose und Regnose hängen nicht nur sprachlich zusammen. Stellt man die beiden Begriffe gegeneinander, so sind Pro-Gnosen „Vorschöpfungen“ unseres Geistes (von heute in die Zukunft), und Re-Gnosen „Rückschöpfungen“ unserer Vorstellungskraft (aus der Zukunft mit Blick auf den Weg ab heute).

 

Im Grunde handelt es sich bei der Regnose um eine altbewährte Technik aus dem Methodenschatz der Imagination bzw. Hypnotherapie. Dort heißen die Methoden „Zukunfts-Ich“ oder „Zeitprogression“.

 

Die Regnose ist ein (mehr oder weniger bewußtes) Vorstellungs-Experiment, in dem Du Dich in ein wahrscheinliches Morgen versetzt. Das bedeutet nichts anderes als, eine bestimmte (realistisch-optimistische) Prognose beispielsweise in fünf Jahren Gestalt werden zu lassen. Von diesem Zustand aus schaust Du zurück und fragst Dich unter anderem:

 

  • Wie genau bin ich hierhergekommen?


  • Was habe ich dazu unternommen?


  • Was habe ich unterlassen?


  • Wie habe ich das geschafft?


  • Wer hat mich dabei unterstützt?

 

Diese gezielten Ausflüge in die Zukunft haben eine erstaunliche Wirkung: Statt diffuser Ängste und Befürchtungen entdeckst Du Zusammenhänge und Verbindungen, die von der Gegenwart in die Zukunft reichen. Du denkst von den Lösungen her, statt in Problemen und Sorgen zu versinken. Die Regnose tauscht das „So wird es sein“ der Prognose aus gegen ein „Auf diesen Wegen ist ein Wandel möglich.“

 

 

Quellen und weiterführende Literatur:

 

Owusuaa, C., Dijkland, S. A., Nieboer, D., van der Rijt, C. C., & van der Heide, A. (2022). Predictors of mortality in chronic obstructive pulmonary disease: a systematic review and meta-analysis. BMC pulmonary medicine, 22(1), 1-13.

 

Trudzinski, F. C., Jörres, R. A., Alter, P., Walter, J., Watz, H., Koch, A., ... & Kahnert, K. (2022). Geschlechtsspezifische Unterschiede des Komorbidoms und des Pulmorbidoms im Hinnblick auf die Prognose der COPD: Ergebnisse von COSYCONET. Pneumologie, 76(S 01), FV-385.

 

Athlin, Å., Giezeman, M., Hasselgren, M., Montgomery, S., Lisspers, K., Ställberg, B., ... & Sundh, J. (2021). Prediction of Mortality Using Different COPD Risk Assessments–A 12-Year Follow-Up. International Journal of Chronic Obstructive Pulmonary Disease, 16, 665.

 

https://www.bedeutungonline.de/was-ist-regnose-bedeutung-definition-erklaerung/

 

https://www.horx.com/zukunftsforschung/das-regnose-prinzip/

 

 

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Erstveröffentlichung: 27.9.2022

 

 

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