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Psychopneumologie Lexikon: O wie Optimismus

Monika Tempel • Aug. 23, 2022

Welche Formen von Optimismus fördern die Gesundheit und wie wirken sie bei Menschen mit chronischen Lungen-Erkrankungen?



Optimistische COPD-Patienten leben besser. So könnte man die Ergebnisse einer aktuellen Studie salopp zusammenfassen. Diese erfreuliche Schlußfolgerung verstellt möglicherweise den Blick darauf, daß die Zusammenhänge zwischen Optimismus und Gesundheit vielschichtig und nicht immer widerspruchsfrei sind.

 


Optimismus: Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

 

Optimismus (vom Lateinischen: optimum = das Beste) steht im üblichen Sprachgebrauch für eine Persönlichkeitseigenschaft. Wer dazu neigt, positiv auf die eigene Person, die Welt und die Zukunft zu blicken, wird als Optimist bezeichnet. Die gegenteilige Grundhaltung wird als Pessimismus bezeichnet.


Wissenschaftlich werden verschiedene Formen von Optimismus unterschieden. Für das Thema „Lunge und Psyche“ sind folgende Spielarten am bedeutsamsten:


  • Dispositionaler Optimismus
  • Optimistischer Attributionsstil
  • Unrealistischer Optimismus


 

Dispositionaler Optimismus


Dispositionaler Optimismus ist Erwartungsoptimismus: „Ich sehe stets die guten Seiten.“ Diese generalisierte positive Zukunftserwartung geht davon aus, daß sich auch schwierige Situationen zum Guten entwickeln werden, und zwar unabhängig davon, ob dies sich von allein positiv entwickelt oder ob man selbst dazu beiträgt.

 


Optimistischer Attributionsstil


Beim optimistischen Attributionsstil geht es nicht um Erwartungen für die Zukunft, sondern um Ursachenzuschreibungen für die Vergangenheit. Diese Zuschreibungen werden im Hinblick auf drei Dimensionen vorgenommen und variieren zudem in Bezug auf negative und positive Ereignisse.


Das komplexe Konstrukt läßt sich am besten durch typische Aussagen für einen optimistischen Attributionsstil verdeutlichen.


  • Bei negativem Ereignis erfolgt eine äußere, variable und spezifische Ursachenzuschreibung: „Daß ich eine Infektion entwickelt habe, lag nur daran, daß ich im Zug stundenlang neben einem erkälteten Sitznachbarn sitzen mußte.“


  • Bei positivem Ergebnis erfolgt eine innere, stabile und umfaßende Ursachenzuschreibung: „Daß sich bisher aus einer Erkältung bei mir noch nie eine Exazerbation entwickelt hat, liegt daran, daß ich immer gut für mich sorge.“

 


Unrealistischer Optimismus


Beim unrealistischen Optimismus werden drei Arten von positiven Illusionen unterschieden:


  • Unrealistisch positive Selbstbewertung (sog. Überdruchschnittlichkeits-Syndrom)
  • Überhöhte Wahrnehmung von persönlicher Kontrolle
  • Übermäßig positive persönliche Zukunftserwartungen


Die Auswirkungen von unrealistischem Optimismus und positiven Illusionen auf Krankheitsverläufe sind zwar vielfach untersucht, jedoch bisher nicht eindeutig bewertet.

 


Kann man Optimismus messen?

 

Obwohl das Phänomen Optimismus so vielschichtig ist, wurden Operationalisierungen entwickelt, um es meßbar zu machen. Häufig benutzt werden folgende Selbstbeurteilungs-Instrumente:


  • Life Orientation Test (LOT-R)
  • Fragebogen zu Selbstwirksamkeit, Optimismus, Pessimismus (SWOP-K9)

 

Der LOT-R wurde zur Erhebung individueller Unterschiede zwischen dispositionalem Optimismus und Pessimismus entwickelt. Er umfaßt 10 Items.


Der SWOP-K9 mißt mit neun Items die Konstrukte Selbstwirksamkeit, Optimismus und Pessimismus. Er wurde aus einer angepaßten und gekürzten Zusammenfassung zweier Fragebögen entwickelt.

 

Diese Meßinstrumente sind zwar für viele Fragestellungen über die Zusammenhänge zwischen Optimismus und Gesundheit hilfreich, ihre Aussagekraft wird jedoch teilweise kritisch beurteilt.


 

Entweder Optimist oder Pessimist – stimmt das?

 

Umstritten ist auch das eindimensionale Konzept, wonach Optimismus und Pessimismus die beiden Endpunkte auf einem Kontinuum sind.


Ein bereichsspezifischer Blick scheint der Wirklichkeit näher zu kommen, denn ein pessimistischer Attributionsstil kann bei einem grundsätzlich optimistischen Attributionsstil durchaus der Realität angemessener sein: „Jeden Tag eine Runde um den See halte ich auf Dauer nicht durch“ ist als realistische (pessimistische) Selbsteinschätzung durchaus verträglich mit der grundsätzlich optimistischen Überzeugung „Durch meinen Lebensstil trage ich dauerhaft zu einem stabilen Verlauf der COPD bei.“


 

Auf welchen Wegen wirkt Optimismus auf die Gesundheit?

 

Es gibt verschiedene Wirkwege zwischen Optimismus und Gesundheit, die gut untersucht und belegt sind. Als Hauptwege gelten:


  • Physiologische Reaktionen
  • Situationswahrnehmung und Situationsbewertung
  • Gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen
  • Soziale Unterstützung


 

Physiologische Reaktionen

Optimismus erhöht beispielsweise die Streß-Resistenz und zeigt Zusammenhänge mit einem besser funktionierenden Immunsystem.

 


Situationswahrnehmung und -bewertung

Optimismus führt möglicherweise dazu, daß Personen sich selbst eine höhere Kompetenzerwartung und Kontrollüberzeugung zuschreiben und dadurch erfolgreicher bei der Bewältigung von schwierigen Situationen sind. Außerdem zeigen sich Zusammenhänge zwischen Optimismus und bestimmten Strategien im Rahmen von Streß-Management (z. B. positive Umdeutung, Sinnfindung, Humor).

 


Gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen

„Optimisten“ zeigen im Vergleich zu „Pessimisten“ mehr Gesundheitsverhalten (z. B. gesunde Ernährung, körperliche Aktivität) und weniger Risikoverhalten (z. B. Rauchen, Alkoholkonsum). Das Gesundheitsverhalten äußert sich auch in einem höheren Interesse an Gesundheitsinformationen, effektiveren Streßbewältigungs-Strategien und verstärkter Suche nach sozialer Unterstützung.

 


Soziale Unterstützung

Die Zusammenhänge zwischen Optimismus und sozialer Unterstützung sind bemerkenswert. Eine gesundheitsförderliche Wirkung für die von den „Optimisten“ selbst berichtete soziale Unterstützung ist nachweisbar. Diese stimmt aber nicht zwangsläufig mit der tatsächlich erfolgten sozialen Unterstützung überein. Entscheidend scheint also die subjektive Wahrnehmung und Zufriedenheit mit der erhaltenen Unterstützung zu sein.

 


Wirkt Optimismus immer positiv auf die Gesundheit?

 

Die vereinfachte Antwort auf diese schwierige Frage lautet: Im Prinzip ja, bei besonderen Konstellationen nein.

 

Es gibt viele Befunde, die für einen positiven Zusammenhang zwischen Optimismus und Gesundheit sprechen. Das gilt besonders für das psychische Wohlbefinden, aber auch für die körperliche Gesundheit (v. a. von Herz-Kreislauf-System, Immunsystem, Atmungssystem).

 

Es gibt aber auch Befunde, die einen weniger positiven oder sogar negativen Zusammenhang nahelegen. Besonders die Fehldeutung eines optimistischen Attributionsstils (z. B. Positives Denken), aber auch dispositionaler und unrealistischer Optimismus können negative Auswirkungen auf die Gesundheit zeigen.


Gerade bei der schwierigen Fragestellung nach den konkreten Vor- und Nachteilen von Optimismus für die Gesundheit besteht noch viel Forschungs- und Klärungsbedarf.

 


Kann man Optimismus lernen?

 

„Optimistische“ Forscher wie Martin Seligman, einer der Begründer der Positiven Psychologie, gehen von einem gelernten und optimierbaren Optimismus aus. Vor allem mit multimodalen kognitiven Methoden kann man laut Martin Seligman auch mittels Selbsthilfe einen optimistischen Erklärungsstil erlernen und damit sein körperliches und seelisches Wohlbefinden stärken.

 

Andere Forscher betrachten Optimismus als einen genetisch (zumindest teilweise) festgelegten Wesenszug, der relativ stabil über die Lebensspanne hinweg besteht. Sie sind entsprechend zurückhaltender im Hinblick auf die Erlernbarkeit von Optimismus. Sie hinterfragen zudem, ob ein erlernter optimistischer Erklärungsstil tatsächlich ebenso gesundheitsförderlich wirkt wie ein vorgegebener, im Wesen angelegter Optimismus.

 


Wie wirkt Optimismus bei chronischen Lungen-Erkrankungen?

 

Nach diesen ausführlichen und abwägenden Darstellungen liefert eine aktuelle Studie zum Thema „COPD und Optimismus“ erfreulich positive und eindeutige Ergebnisse.

 

Die Studie von Koo HK et al (2022) deutet die Forschungsdaten folgendermaßen:


  • Optimismus war mit weniger Exazerbationen und weniger schweren Atemwegssymptomen sowie einer höheren Funktionsfähigkeit assoziiert, was sich auf die Gesundheitsergebnisse von derzeitigen und ehemaligen Rauchern mit und ohne COPD auswirken kann.


  • Optimismus ist eine veränderbare Eigenschaft, und diese Ergebnisse könnten eine Rolle beim Einsatz der Kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) für eine Verbesserung der Ergebnisse bei COPD spielen.

 

Insgesamt sind Studien zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Optimismus und COPD noch sehr rar.

 

  • Ein Forscher-Duo untersuchte die Rolle von Optimismus bei der Bestimmung der wahrgenommenen pulmonalen Funktion und Gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQoL) bei COPD-Patienten. Dabei stellte sich heraus, daß Patienten mit hohem Optimismus und hoher Selbstwirksamkeit weniger Funktionsbeeinträchtigung als Patienten mit geringem Optimismus und Selbstwirksamkeit hatten (bei ähnlichen klinischen Parametern der Lungenfunktion). Optimismus erhöht das subjektive Wohlbefinden und kann das Gesundheitsverhalten stimulieren (z. B. das Befolgen von Behandlungsprogrammen oder die Änderung der Lebensgewohnheiten).

 

  • Wie bei den meisten chronischen Erkrankungen ist auch bei der COPD die Motivation zur Selbstfürsorge unabdingbar. Einige Studien bestätigten die Rolle von Optimismus für die Motivation, neben anderen Faktoren (wie Selbstwirksamkeit, Handlungskompetenz, Bewältigungsstrategien, Hoffnung, Wissen, soziale Unterstützung).


  • Ein Artikel befaßte sich mit dem Zusammenhang von Optimismus und Selbstfürsorge bei Atmungsversagen. Es zeigte sich, daß Optimismus und Hoffnung in Verbindung stehen mit einer besseren Selbstfürsorge bei COPD-Patienten, die an einem Rehabilitationsprogramm teilnehmen.

 


Optimismus: Fazit für psychopneumologische Interventionen

 

  • Viele Befunde untermauern die These von der gesundheitsförderlichen Wirkung von Optimismus.


  • Dieser positive Zusammenhang scheint auch für Menschen mit chronischen Lungen-Erkrankungen zu gelten.

 

  • Interventionen (vor allem auf der Basis von achtsamkeitsbasierter kognitiver Therapie und Resilienz-Training) können vermutlich in gewissem Umfang Einfluß auf optimistische und pessimistische Ursachenzuschreibungen nehmen und so zum Wohlbefinden beitragen.


  • Vorsicht ist geboten bei Verfahren, die eine positive Weltsicht als Königsweg zu Gesundheit und Wohlbefinden versprechen.


  • Schädlich wirkt eine Haltung, die Optimismus als entscheidenden Wirkfaktor für (körperliche und seelische) Gesundheit versteht. Zur Bürde der Krankheit kommt dann die Pflicht zu einer optimistischen Sicht der Dinge und das Gefühl des Versagens, wenn die Genesung ausbleibt.

 


Quellen und weiterführende Literatur

 

  • Salewski, C., & Vollmann, M. (2011). Optimismus und gesunde Lebensführung.


  • Scholler, G., Fliege, H., & Klapp, B. F. (1999). SWOP-K9-Fragebogen zu Selbstwirksamkeit-Optimismus-Pessimismus Kurzform.


  • Glaesmer, H., Hoyer, J., Klotsche, J., & Herzberg, P. Y. (2008). Die deutsche Version des Life-Orientation-Tests (LOT-R) zum dispositionellen Optimismus und Pessimismus. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 16(1), 26-31.


  • Koo, H. K., Hoth, K. F., Make, B. J., Regan, E. A., Crapo, J. D., Silverman, E. K., & DeMeo, D. L. (2022). Optimism is associated with respiratory symptoms and functional status in chronic obstructive pulmonary disease. Respiratory research, 23(1), 1-9.

 

 

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Beitragschronik

 

Erstveröffentlichung: 23.8.2022

 

 

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