Die Medizin folgt heute einem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell. Dieses Modell schlägt sich beispielsweise nieder in der umfassenden Definition von Gesundheit der WHO. Sie lautet:
„Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“
Im folgenden Beitrag soll es nicht um das medizinische Krankheitsmodell gehen. Blickt man nämlich genauer auf die Krankheitsmodelle von Patienten, so erkennt man schnell subjektive Überzeugungen, die mitunter deutlich von dem abweichen, was Behandler über eine bestimmte Krankheit denken.
Diese Patientensicht setzt sich vor allem zusammen aus:
Man nennt diese Patientensicht auf die Erkrankung das subjektive Krankheitsmodell.
Inzwischen wird immer deutlicher, daß dieses subjektive Krankheitsmodell das jeweilige Krankheitsverhalten und den individuellen Krankheitsverlauf entscheidend beeinflußt.
Grundlage für die Erforschung der subjektiven Krankheitsmodelle bildet vor allem die Selbstregulations-Theorie (von Leventhal H und Kollegen). Danach besteht ein Rückkoppelungs-Mechanismus zwischen Krankheits-Wahrnehmung und Krankheits-Verhalten, der maßgeblich durch das subjektive Krankheitsmodell des Patienten gesteuert wird.
Im Verlauf der Forschungen ließen sich anhand von Patientenaussagen zu ihrer Erkrankung fünf Haupt-Dimensionen des subjektiven Krankheitsmodells unterscheiden:
1. Identität
2. Kontrollüberzeugungen
3. Konsequenzen
4. Zeitverlauf
5. Krankheitsverständnis
Die Vielfalt von möglichen Antworten ist nicht überraschend. Es ergibt sich unmittelbar die Frage, ob und wie sich die Antworten systematisch erfassen lassen.
Die Forschung zu subjektiven Krankheitsmodellen nutzt qualitative und quantitative Meßverfahren.
Qualitative Verfahren sind Verfahren mit Aussagen, die sich statistisch nicht nach Zahlenwerten ordnen lassen.
Qualitative Verfahren erfassen durch (halb)strukturierte Interviews eine große Bandbreite von subjektiven Krankheitsmodellen. Diese lassen sich nur thematisch ordnen.
Quantitative Verfahren sind Verfahren mit Ergebnissen, die sich in einer statistisch verwendbaren Skala von Werten ordnen lassen.
Um die Ergebnisse zwischen verschiedenen Patienten und im Zeitverlauf vergleichen zu können, bedarf es einer quantitativen Messung. Hierzu dient ein Selbstbeurteilungs-Instrument zur Krankheits-Wahrnehmung: der Illness Perception Questionnaire (= IPQ).
Dieser Fragebogen liegt in einer Langversion (IPQ-R) und in einer Kurzversion (B-IPQ) vor und ist online offen verfügbar (http://ipq.h.uib.no//index.html).
Langversion und Kurzversion des IPQ sind verläßliche Testinstrumente und werden in zahlreichen Studien bei unterschiedlichen Krankheitsbildern eingesetzt.
Seit einiger Zeit werden Patientenzeichnungen als Instrument eingesetzt, um subjektive Krankheitsmodelle zu erfassen. Für COPD-Patienten liefern diesbezügliche Studien erste erstaunliche Ergebnisse.
[Quelle: Kaptein, A. A., Tiemensma, J., Broadbent, E., Asijee, G. M., & Voorhaar, M. (2017). COPD depicted–Patients drawing their lungs. International journal of chronic obstructive pulmonary disease, 12, 3231.]
Als Antwort auf diese wichtige Frage ergeben sich aus Studien überraschende und wegweisende Befunde. So beeinflußen subjektive Krankheitsmodelle unter anderem:
Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen die zentrale Bedeutung von subjektiven Krankheitsmodellen für das Krankheits-Verhalten und den Krankheits-Verlauf. Wie ein Patient versucht, seine Erkrankung und die daraus resultierenden Folgen zu bewältigen, welche Auswirkungen das auf Gedanken, Gefühle, Handeln hat, wie sich diese Problemlöseversuche im Zeitverlauf entwickeln – all das wollen Interventionen zur Veränderung von subjektiven Krankheitsmodellen erfassen und bei Bedarf beeinflußen.
Gemeinsames Ziel aller Interventionen ist eine bessere körperliche und geistige (= psychomentale) Gesundheit.
Dazu beziehen viele Angebote die Partner oder andere Angehörige von Patienten ein. Dies geschieht nicht nur aufgrund der äußeren Unterstützungsfunktion durch Kümmerer. Studien haben darüber hinaus ergeben, daß auch die subjektiven Krankheitsmodelle der Angehörigen Einfluß auf den Krankheitsverlauf der Patienten haben.
Typische Interventionen zur Veränderung des subjektiven Krankheitsmodells (von Patienten und Angehörigen) umfassen:
Studienergebnisse legen nahe, daß Interventionen zur Veränderung subjektiver Krankheitsmodelle bereits vor diagnostischen Abklärungsmaßnahmen sinnvoll sind, um den weiteren Verlauf günstig zu beeinflußen.
Die Forschung zu subjektiven Krankheitsmodellen bei Patienten mit Chronischen Lungenerkrankungen (wie COPD, Asthma, Lungenfibrose oder Pulmonale Hypertonie) steckt noch in den Kinderschuhen – etwa im Vergleich zu diesbezüglichen Studien aus der Psychoonkologie, Psychokardiologie oder Psychodiabetologie.
Aber sie liefert bereits einige vielversprechende Ergebnisse, z. B. das IARA-Modell bei COPD.
[Quelle: De Giorgio, A., Dante, A., Cavioni, V., Padovan, A. M., Rigonat, D., Iseppi, F., ... & Gulotta, F. (2017). The IARA model as an integrative approach to promote autonomy in COPD patients through improvement of self-efficacy beliefs and illness perception: A mixed-method pilot study. Frontiers in Psychology, 8, 1682.]
Weitere erfolgversprechende Beispiele für den gezielten Einsatz sind Selbstmanagement-Interventionen (mit Schwerpunkt auf dem subjektiven Krankheitsmodell) bei Asthma.
Bei einer solchen Intervention wird zunächst das Krankheits-Modell des Patienten mittels B-IPQ erhoben und mit dem praktizierten „Selbst-Management“ des Patienten verglichen. Diskrepanzen bei den Antworten zu „Identität“ und „Zeitverlauf“ und dem praktizierten „Selbst-Management“ sind der Anstoß für eine schrittweise Krankheits-Modell-Intervention.
[Quelle: Miles, C., Arden-Close, E., Thomas, M., Bruton, A., Yardley, L., Hankins, M., & Kirby, S. E. (2017). Barriers and facilitators of effective self-management in asthma: systematic review and thematic synthesis of patient and healthcare professional views. NPJ primary care respiratory medicine, 27(1), 1-21.]
Aus den bisherigen Studien lassen sich einige grundlegende Empfehlungen für die psychopneumologische Praxis ableiten:
Der wichtige erste Schritt ist: Dran denken! Konkret bedeutet das: Erhebung des subjektiven Krankheitsmodells sinnvollerweise bereits vor der Einleitung von wegweisender Diagnostik und unter Einbeziehung von Angehörigen.
Spätestens bei einer Diagnose-Mitteilung und im Verlauf gilt:
Kurze, individuell zugeschnittene Interventionen (2 – 3 Kontakte) können eine maximale Wirkung entfalten, wenn sie zum rechten Zeitpunkt in einer verständlichen, nachvollziehbaren Art und Weise vermittelt werden.
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