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COPD und Angst: Innovative Angebote für den Umgang mit Ängsten im Alltag

Monika Tempel • Sept. 20, 2022

Beim Transfer von Empfehlungen in die Praxis können digitale Angebote die ersten Schritte erleichtern.


Relevante Empfehlungen umsetzen: eine besondere Herausforderung

 

Wenn nach der Suche zum Thema „COPD und Angst“ die verläßlichen und verständlichen Ergebnisse als persönlich relevant bewertet worden sind, könnte es eigentlich losgehen.

 

Doch auch hier gilt, was im Beitrag „COPD und Depression: Relevante Empfehlungen im Alltag umsetzen“ beschrieben wird: Voraussetzung für die Umsetzung der relevanten Empfehlungen ist, daß die bisherige Informationssuche konkrete Handlungsanweisungen ergeben hat. Das ist beim Thema „COPD und Angst“ eher die Ausnahme. Deshalb startet an dieser Stelle eine zweite Runde der Informationssuche. Als Leitfaden dienen die Empfehlungen aus den Beiträgen zu den relevanten Websites und Informations-Portalen.

 


Empfehlung 1: Pneumologische Rehabilitation mit Kollaborativem Betreuungs-Konzept  

 

Pneumologische Rehabilitation (PR) erzielt nachweislich positive Effekte auf Angst bei COPD-Patienten. Deshalb steht sie hier als erste Empfehlung – auch, weil im Rahmen der PR mit einem Kollaborativen Versorgungs-Modell schon lange Methoden aus der Psychopneumologie zum Einsatz kommen.

 

Leider verlangt die Entscheidung zur Pneumologischen Rehabilitation – nicht nur unter den Bedingungen einer Pandemie – von COPD-Patienten mit Ängsten häufig eine große Einsatzbereitschaft.

 

Einen niedrigschwelligen Einstieg, zumindest in einige wichtige Elemente der Pneumologischen Rehabilitation, bieten Tele-Reha-Angebote und sogenannte PneumoDigitalApps.

 

Sie nutzen die wirksamsten Elemente der Pneumologischen Rehabilitation:

 

  • Körperliche Aktivität,  
  • Selbst-Management-Training,
  • Psychotherapie.

 

Diese Empfehlungen decken sich teilweise mit den Hinweisen für depressive COPD-Patienten. Bei den einzelnen Ansätzen gilt es allerdings spezifische Besonderheiten für das Thema „COPD und Angst“ zu beachten.

 


Empfehlung 2: Körperliche Aktivität (Lungensport)

 

Zahlreiche Studienergebnisse belegen, daß regelmäßige körperliche Aktivität einen positiven Effekt auf das psychische Befinden von COPD-Patienten hat. Angst-Symptome werden nachweislich gemindert.

 

Nicht nur die verbesserte körperliche Leistungsfähigkeit, sondern auch das gesteigerte psychische Wohlbefinden sind also absolut überzeugende Gründe für Lungensport, besonders für COPD-Patienten mit Ängsten.

 

Leider gibt es eine Vielzahl von Gründen, die so manchen COPD-Patienten mit Angst davon abhalten, sich der Lungensport-Gruppe vor Ort regelmäßig anzuschließen: Angst vor Atemnot bei körperlicher Belastung, Angst vor Überforderung und Versagen, die eingeschränkte Mobilität, die Rückzugsneigung – das alles erschwert das regelmäßige Training in einer Lungen-Sport-Gruppe.

 

Auch hier kannst Du von digitalen Alternativen profitieren, z. B. durch Heimtraining anhand der Videos im YouTube-Kanal der AG Lungensport.

 


 


Empfehlung 3: Disease-Management-Programm (DMP)

 

Disease-Management-Programme (DMP) sind strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen. Patienten mit bestimmten chronischen Krankheiten (wie COPD) können sich bei ihrer Krankenkasse in ein solches Behandlungsprogramm einschreiben und die Schulungseinheiten meist in der Praxis ihres Lungenfacharztes absolvieren. Damit sind sie auf dem aktuellen medizinischen Forschungsstand mit einem evidenzbasierten Angebot versorgt, das auch nachweislich das psychische Befinden verbessert.

 

Der Selbstmanagement-Ansatz wird inzwischen bereits von einigen Digitalen Gesundheits-Anwendungen genutzt. Zwei Vertreter dieser sogenannten PneumoDigitalApps (beide pharmagesponsert) sind mittlerweile im Einsatz:

 


Kaia COPD (Chiesi)

 

Diese App vermittelt nicht nur Selbstmanagement-Kompetenz, sondern auch die zentralen Bestandteile der Pneumologischen Rehabilitation (Bewegungs-Programm, Atem- und Entspannungsübungen).

 

 


TheraKey (Berlin Chemie)

 

Das TheraKey-Programm stellt Nutzern individualisierbare Schulungspakete mit abschließendem Quiz zur Verfügung gestellt. Das Update wendet sich ausdrücklich auch an Angehörige.

 

 


Empfehlung 4: Psychotherapie (vor allem Kognitive Verhaltenstherapie und Achtsamkeitstherapie)

 

Selbst sehr zurückhaltende Studien weisen auf den möglichen Nutzen von Psychotherapie (Kognitiver Verhaltenstherapie – CBT) für COPD-Patienten mit Angst hin.

 

Wie bereits beim Thema „COPD und Depression“ beschrieben, gilt auch beim Thema „COPD und Angst“: Es gibt gute Argumente dafür, Dich auf die Suche nach einem (Verhaltens)Therapeuten zu begeben, wenn Du als COPD-Patient unter dauerhaft anhaltenden oder sich verschlimmernden Ängsten leidest, die nicht durch Selbsthilfe-Methoden zu lindern sind.

 

Doch mit dem Entschluß zu diesem Schritt beginnt häufig eine abenteuerliche und nicht selten erfolglose Odyssee. Denn gute (das heißt in diesem Fall möglichst auch psychosomatisch oder gar psychopneumologisch erfahrene) Therapeuten sind rar und meist auf lange Sicht ausgebucht.

 

Nicht nur in Zeiten einer Pandemie kommen für mobilitätseingeschränkte COPD-Patienten mit Ängsten noch zusätzliche, fast unüberwindbare Hürden für eine ambulante Psychotherapie hinzu. Schamgefühle, Angst vor Stigmatisierung … weitere Gründe, weshalb es lohnt, einen Blick auf Online-Therapien zu werfen.

 

Im Beitrag „COPD und Angst: 3 Informations-Portale begleiten Betroffene bei der Suche nach Lösungen“ wurde bereits auf das Verzeichnis der Digitalen Gesundheits-Anwendungen hingewiesen.

 

Dort findest Du alle digitalen Gesundheitsanwendungen (z.B. Apps oder browserbasierte Anwendungen), die

 

  • als Medizinprodukt mit niedrigem Risiko CE-zertifiziert sind (d. h. zertifiziert gemäß der EU-Konformitätserklärung),
  • zusätzlich vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Digitale Gesundheits-Anwendung (DiGA) geprüft wurden,
  • von Deinem Arzt verschrieben werden können,
  • bei entsprechender Diagnose direkt von Deiner gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden können.

 

Für den Suchbegriff „Angst“ liefert das DiGA-Verzeichnis sechs Ergebnisse. Fünf dieser Ergebnisse sind auf den ersten Blick relevant für das Thema „COPD und Angst“.

 


velibra

 

Velibra ist ein Web-Programm mit nachgewiesener Wirksamkeit bei Panikstörung, Agoraphobie, Generalisierter Angststörung und Sozialer Phobie. Es ist dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen und wird nach ärztlicher Verordnung für eine gewisse Zeit kostenfrei für Nutzer freigeschaltet.

 

Das Programm beruht auf den Prinzipien der Kognitiven Verhaltenstherapie und soll als ergänzender Behandlungsbaustein die Behandlung durch einen Arzt oder Therapeuten unterstützen.

 

 


Invirto – Die Therapie gegen Angst

 

Invirto ist als verschreibungspflichtige und zuzahlungsfreie Online-Therapie bisher nur vorläufig in das Verzeichnis der Digitalen Gesundheits-Anwendungen aufgenommen.

 

Nach eigener Aussage ist Invirto „das digitale Abbild einer Psychotherapie gegen Angsterkrankungen“ durch die Kombination von verschiedenen Zugangsweisen: per App, Virtual Reality-Brille, Kopfhörer und Handbuch.

 

Nach einem einleitenden Videogespräch mit einem Therapeuten werden die zu absolvierenden Kurs-Module individuell zusammengestellt. Sie basieren auf den Methoden der Verhaltenstherapie mit Expositionstraining und werden über den gesamten Behandlungsverlauf von Therapeuten und dem Invirto-Team begleitet.

 

Vorsicht beim Thema „Expositions-Training“! Hier verweise ich ausdrücklich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Beitrag „COPD und Angst: 3 Informations-Portale begleiten Betroffene bei der Suche nach Lösungen".

 

Die „klassische“ Expositionstherapie muß nämlich für COPD-Patienten mit den betreffenden Ängsten ganz individuell angepaßt werden. Dazu müssen die Befunde aus Pneumologie, Psychosomatik und Physiotherapie zusammen betrachtet und berücksichtigt werden. Am besten gelingt ein solcher Ansatz im Rahmen der Pneumologischen Rehabilitation mit Hilfe des Kollaborativen Behandlungs-Konzeptes.

 

Aufgrund der komplexen Hintergründe und Wechselwirkungen zwischen Lunge und Psyche ist Invirto vermutlich bei COPD-Patienten mit Ängsten nur sehr eingeschränkt einsetzbar.

 

 


Mindable: Panikstörung und Agoraphobie

 

Das Mindable-Programm „Panikstörung und Agoraphobie“ ist ein psychologisches Online-Unterstützungsangebot und basiert auf dem bei Angststörungen bewährten Ansatz der Kognitiven Verhaltenstherapie. Es ist vorläufig in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen.

 

Auch hier gilt der Hinweis auf die Beachtung der Besonderheiten bei COPD-Patienten mit Angst: Neben Psychoedukation werden Mindable-Nutzer angeleitet, ihre Ängste durch Konfrontationsübungen proaktiv anzugehen und zu reduzieren.

 

Fachleute sprechen hier von Interozeptiver Exposition (Konfrontation mit gefürchteten Körperempfindungen) und von In-vivo-Exposition (Konfrontation mit persönlich relevanten Auslösebedingungen). Normalerweise können auf diesem Weg Paniksymptome gelindert und die Selbstwirksamkeit gestärkt werden.

 

Beim Thema „COPD und Angst“ spielen jedoch sehr viele eng verflochtene körperliche und seelische Faktoren eine bedeutende Rolle. Aufgrund dieser komplexen Hintergründe und Wechselwirkungen zwischen Lunge und Psyche ist vermutlich auch Mindable bei COPD-Patienten mit Ängsten nur sehr eingeschränkt einsetzbar.

 

 


Selfapys Online-Kurs bei Generalisierter Angststörung und Online-Kurs bei Panikstörung

 

Die Selfapy Online-Kurse „Generalisierte Angststörung“ und „Panikstörung“ umfassen jeweils zwölf Module und können sowohl zur fachgerechten Wartezeitüberbrückung, zur Begleitung während einer Psychotherapie und zur Vorbeugung von Rückfällen eingesetzt werden. Beide Angebote wurden vorläufig in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen und sind bei ärztlicher Verordnung zuzahlungsfrei. Wirksamkeitsstudien von der Justus-Liebig-Universität Gießen liegen für beide Online-Angebote vor.  

 

Die zwölf Module des Online-Kurses enthalten Methoden aus der Kognitiven Verhaltenstherapie (einschließlich Expositionsübungen), dem Achtsamkeitstraining, der Akzeptanztherapie und dem Problemlösetraining. Sie beziehen auch psychosoziale Aspekte mit ein und enthalten ein Anti-Angst-Paket für den Alltag nach der Behandlung.

 

Achtung: Wegen der Expositionsübungen gelten auch für die Selfapy-Kurse die Sicherheitshinweise und Einschränkungen aus dem Beitrag „COPD und Angst: 3 Informations-Portale begleiten Betroffene bei der Suche nach Lösungen".

 


 

Bleiben noch zwei wichtige Empfehlungen für den Umgang mit „COPD und Angst“...



Empfehlung 5: Streß-Management

 


Empfehlung 6: Entspannungsverfahren

 

Beide Empfehlungen gelten auch für den Umgang mit „COPD und Depression“. Deshalb sind sie im Beitrag „COPD und Depression: Relevante Empfehlungen im Alltag umsetzen“ ausführlich dargestellt und mit weiterführenden Links versehen.

 

Dort kannst Du Dich über die Angebote zum Streß-Management und über die wichtigsten Entspannungsverfahren informieren.

 

Mit diesen Informationen hast Du einen Überblick über wirksame Angebote zum Umgang mit Angst bei COPD. Mit deren Hilfe kannst Du evidenzbasierte Empfehlungen konkret in Deinem persönlichen Lebensumfeld und in Deinem Alltag umsetzen. So kann das Thema „COPD und Angst“ Schritt für Schritt seinen Schrecken für Dich verlieren.

 


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Erstveröffentlichung: 20.9.2022



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