Blog-Layout

Psychopneumologie Lexikon: T wie Therapeutische Beziehung

Monika Tempel • Okt. 25, 2022

Wie kann die therapeutische Beziehung bei geringer oder fehlender Behandlungsmotivation gelingen?



„Ich hab´s an der Lunge und nicht am Kopf!“

 

Diese Haltung bildet häufig den Einstieg in die therapeutische Beziehung bei chronischen Lungen-Erkrankungen. Besonders dann, wenn diese Patienten von ihren (Fach)Ärzten oder von Angehörigen zu einer Vorstellung beim Psychologen oder Psychosomatiker mehr oder weniger sanft „gedrängt“ wurden.

 

Dann gilt es, mit Feingefühl und Wertschätzung zunächst eine Therapiemotivation bei den meist körperlich und psychisch deutlich belasteten Patienten aufzubauen.

 

Dazu ist zunächst ein Blick auf die Besonderheiten der therapeutischen Beziehung mit (chronisch) Lungenkranken notwendig.

 


Besonderheiten der therapeutischen Beziehung und notwendige Therapeutenhaltung

 

  • Die schwierige Ausgangssituation des Patienten durch hohe Krankheitslast, Instabilität, Verletzbarkeit, Schamgefühle (v. a. durch Rauchen) erfordert eine stützende, haltgebende und nicht wertende Grundeinstellung auf Therapeutenseite.


  • Die geringe oder fehlende Therapiemotivation legt nahe, das Behandlungsbündnis über einen ressourcen- und stärkenorientierten Einstieg aufzubauen.

 

  • Der Entwicklung von Krisen und einer Demoralisierung durch die krankheitsbedingten Beschwerden wirkt eine verläßliche therapeutische Beziehung entgegen, die Hoffnung und Zuversicht fördert.


  • Individuelle Therapieziele und herausfordernde Behandlungs-Settings (z. B. Mehrbettzimmer in der Klinik, Intensivstation,…) erfordern ein hohes Maß an Flexibilität.


  • Begrenzte, zeitlich befristete Kontaktmöglichkeiten lassen sich am besten nutzen für eher aktive Interventionsformen, die Krankheitsverarbeitung (Coping) und Sinngebung fördern.

 


Empathische Grundhaltung als Basis


Ein einfühlsamer (empathischer) Behandler sucht Antwort auf die Fragen:

 

  • Was fühlt der Patient?


  • Was braucht der Patient?


  • Was will der Patient?

 

Diese empathische Grundhaltung ist laut Studien bedeutsam für:

 

  • Behandlungszufriedenheit (von Patient und Behandler),


  • Prognose,


  • Adhärenz (Therapietreue),


  • Gesundheitsbezogene Lebensqualität.

 

Trotz dieser erstaunlich vielfältigen Wirkungen scheint Empathie als alleiniger Faktor für den Therapieerfolg jedoch nicht auszureichen.

 


Selbstwahrnehmung und -reflexion des Behandlers ist notwendig

 

Die Reflexion eigener Anteile des Behandlers ist ein häufig unterbelichteter Aspekt der therapeutischen Beziehung. Vermutlich ist dieser Aspekt vor allem dann bedeutsam, wenn das ungünstige Vorgehen eines Behandlers die Belastungen und Störungen von Patienten aufrechterhält. Fortbildung, Intervision und Supervision können diesen negativen Auswirkungen vorbeugen.

 


Kernelemente der therapeutischen Beziehung bei chronischen Lungen-Erkrankungen

 

Die Kernelemente der therapeutischen Beziehung bei chronischen Lungen-Erkrankungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

 

  • Vorrang von akuten Belastungen und Problemen,


  • Fokus auf „Hier und Jetzt“,


  • Interventionen zur Stabilisierung, Konfliktentspannung, psychische Entlastung,


  • Arbeit an der Krankheitsverarbeitung (Coping).

 

Zu den relevanten Themen der Krankheitsverarbeitung (Coping) zählen vor allem:


  • subjektives Krankheitsmodell


  • Perspektivenwechsel (vom Opfer zum Gestalter),


  • Bedeutungswandel der Beschwerden (von „Ich bin ein COPD-Patient“ zu „Ich bin ein Mensch, der u. a. COPD hat – neben vielen anderen Eigenschaften, Interessen, Beziehungen, Zielen,…“),


  • Akzeptanz (von Krankheit, Progredienz, Sterben, Tod),


  • Trauerarbeit.

 


Beziehungsgestaltung in Schwellensituationen

 

Im Krankheits- und Behandlungsverlauf bei chronischen Lungen-Erkrankungen ergeben sich vielfältige Gesprächskonstellationen. Vor allem in Schwellensituationen ist eine einfühlsame Beziehungsgestaltung unverzichtbar.

 

Schwellensituationen sind beispielsweise:


  • Diagnosemitteilung und Therapieeinleitung,


  • Instabile Phase und Exazerbation (Krankheitsschub),


  • Progredienz,


  • Übergang in Palliative und End-of-Life-Phase,


  • Trauerphase.


Je nach Gesprächskonstellation stehen verschiedene Gesprächstypen im Vordergrund:

 

  • Anamnese bzw. Diagnostisches Gespräch,


  • Beratungsgespräch (immer wieder im gesamten Krankheitsverlauf),


  • stützendes (supportives) Gespräch (vor allem bei Krisen),


  • psychotherapeutisches Gespräch (vor allem bei anhaltenden emotionalen Belastungen).

 


Beziehungsfördernde Kommunikations-Strategien

 

Grundlegend für eine gesprächsfördernde Atmosphäre sind:

 

  • Angenehmes, möglichst barrierefreies Setting,


  • ungestörtes, fest umrissenes Zeitfenster,


  • patienten-orientierte Sprache (verständlich, anschaulich, bildhaft).

 

Als beziehungsfördernde Gesprächsführungs-Techniken bieten sich verschiedene Formen des Aktiven Zuhörens an:

 

  • WWSZ-Technik (Langewitz),


  • ELSE-Technik (Servan-Schreiber),


  • NURSE-Technik (Back et al).

 


WWSZ-Technik


  • Warten: ca.3 Sekunden mit Augenkontakt, reden lassen


  • Wiederholen: ggf. nur die letzten Patientenworte leicht fragend


  • Spiegeln: vor allem Spielgeln der emotionalen Botschaft


  • Zusammenfassen: Als Qualitätskontrolle (des Verstehens) und als Gesprächsstrukturierung

 


ELSE-Technik


  • Was ist passiert? > 3 Minuten reden lassen – dann:


  • Emotionen: Was haben Sie empfunden?


  • Lass mich…: Lassen Sie mich das Schwierigste wissen…


  • Standhalten: Was hilft Ihnen am meisten standzuhalten?


  • Empathie: Es muß sehr schwer sein…

 


NURSE-Technik


  • Naming: Emotion benennen


  • Understanding: Verständnis zeigen


  • Respecting: Respekt bekunden


  • Supporting: Unterstützung anbieten


  • Exploring: Explorationsbereitschaft signalisieren

 

Im Zentrum des Aktiven Zuhörens steht die Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte. Dabei werden Emotionen wahrgenommen, benannt und angemessen respektiert. Je nach Situation wird zur weiteren Erkundung der Emotionen ermutigt oder Unterstützung für deren Verarbeitung angeboten.

 

Soll die Motivation von Patienten für eine Verhaltensänderung gezielt gefördert werden, bietet sich der direktive Beratungsansatz der Motivierenden Gesprächsführung (motivational interviewing) an.

 

Als wesentliche Wirkfaktoren kommen dabei folgende Elemente zum Einsatz:

 

  • Bewertungsfreie Rückmeldungen,


  • Stärkung der Eigenverantwortung,


  • verständliche und strukturierte Handlungsempfehlungen,


  • Angebot von alternativen Strategien und Optionen,


  • Ausdruck von Empathie,


  • Stärkung von Selbstwirksamkeit und Zuversicht.

 

Einzelheiten zu dieser Kommunikations-Strategie sind im Psychopneumologie Lexikon unter „M wie Motivierende Gesprächsführung“ nachzulesen.

 

Für die Mitteilung von „schlechten Nachrichten“ (z. B. Aufklärungsgespräch über gravierende Befunde oder folgenreiche Therapieentscheidungen) hat sich ein Vorgehen nach dem SPIKES-Protokoll (Baile et al) bewährt.


Die Beziehungsgestaltung nach dem SPIKES-Protokoll umfaßt:

 

  • Setting: Geschützte Umgebung schaffen


  • Perception: Informationsstand des Patienten erfragen


  • Invitation: Einwilligung zur Mitteilung der Nachricht einholen


  • Knowledge: Nachricht anbahnen, dann mitteilen


  • Emotions: Emotionen erkennen – zulassen – benennen


  • Summary and Strategy: Weiteres Vorgehen besprechen



Fazit für die psychopneumologische Praxis

 

Eine tragfähige therapeutische Beziehung läßt sich durch eine möglichst genaue „Passung“ zwischen Patientenbedürfnissen und Behandlungserfordernissen erreichen.

 

Dazu ist auch wichtig abzuschätzen, welches Modell der therapeutischen Beziehung dem konkreten Patienten am besten gerecht wird:

 

  • Paternalistisches Modell (asymmetrische Fürsorge),


  • Partnerschaftliches (partizipatives) Modell („auf Augenhöhe“),


  • Informations-Modell (Mitteilung aller relevanten Informationen, Patient entscheidet ),


  • Dienstleistungs-Modell (Patient erhält alle gewünschten Informationen und Optionen).

 

Eine hilfreiche Methode, um Informations- und Behandlungsbedürfnisse des Patienten zu ermitteln, ist die „Ask-Tell-Ask“-Methode:


  • Ask: Frage nach Vorwissen, Informationsbedürfnissen (auch hinsichtlich unangenehmer Aspekte)


  • Tell: Anknüpfen an Vorwissen und gezielte zusätzliche Informationen


  • Ask: Bitte um zusammenfassende Wiedergabe der mitgeteilten Informationen durch Patient, Beachtung der emotionalen Reaktionen (ggf. aktives Nachfragen), Frage nach weiteren Informationsbedürfnissen.

 

Erst die Kombination aus empathischer Grundhaltung und professioneller Gesprächsgestaltung trägt dazu bei, daß Patienten sich in der therapeutischen Beziehung angenommen und sicher fühlen, einlassen und für eine Veränderung öffnen.

 

 

Quellen und weiterführende Literatur:

 

  • Zittlau, K. (2019). Die Krankheitsbewältigung unterstützen. In :. Schattauer Verlag.


  • Rief, W., & Henningsen, P. (2015). Psychosomatik und Verhaltensmedizin. Schattauer Verlag.

 

 

Themenverwandte Beiträge





 

 

Beitragschronik


  • Erstveröffentlichung: 25.10.2022

 

 

Deine Fragen und Anmerkungen, Deine Kritik und Deine Themenwünsche sind herzlich willkommen!

Kontaktieren Sie uns

Patientin mit Sauerstoffsonde
von Monika Tempel 23 Apr., 2024
Was lange währt: „Pflegewissen Pneumologie“ ist im Springer-Verlag in der 2. Auflage erschienen.
Brille auf Zeitungen abgelegt
von Monika Tempel 20 Feb., 2024
Warum das Themenheft „Lunge und Psyche“ perfekt zum diesjährigen Motto „Pneumologie – sektorenübergreifend, modern und lebendig“ paßt.
Bibliothek mit rotem Buchstabe Z
von Monika Tempel 20 Dez., 2022
Der letzte Buchstabe im Alphabet steht im Psychopneumologie Lexikon nicht für ein Ende, sondern für einen Anfang: „Zukunftsmusik“ für COPD, IPF, AATM & Co.
Bibliothek mit rotem Buchstabe W
von Monika Tempel 13 Dez., 2022
Wieder atmen lernen! Das gelingt manchmal nur in einem langwierigen Prozeß und dank interprofessioneller Begleitung.
Blaue Sportschuhe
von Monika Tempel 06 Dez., 2022
„Emsige Biene“ oder „Stubenhocker“? 40 Aussagen zum Nachdenken und Umdenken.
Glühbirne mit sechs Mindmap-Blasen
von Monika Tempel 29 Nov., 2022
Wie Mikro-Training einen Beitrag zu einer Pneumologischen Rehabilitation der Zukunft leisten könnte.
Bibliothek mit rotem Buchstabe V
von Monika Tempel 22 Nov., 2022
Welche Schlüsse zieht die Verhaltensmedizin auf der Grundlage des biopsychosozialen Modells für den Umgang mit chronischen Lungen-Erkrankungen?
Hände mit YES und NO
von Monika Tempel 08 Nov., 2022
Was geschieht, wenn Dein Fokus darauf liegt, was Du anders machst, und nicht darauf, Deine Symptome zu verringern?
Bibliothek mit rotem Buchstabe U
von Monika Tempel 08 Nov., 2022
Wie umgehen mit dem unausweichlichen Thema „Ungewissheit“ bei chronischen Lungen-Erkrankungen?
Welt-COPD-Tag 2022 Logo
von Monika Tempel 01 Nov., 2022
Das Motto des Welt-COPD-Tages 2022 lenkt den Blick auch auf ein heikles Thema.
Weitere Beiträge
Share by: