Psychopneumologie Lexikon: M wie Motivierende Gesprächsführung
MI ist ein bewährter Ansatz zur Unterstützung einer Verhaltenshaltensänderung: rasch erlernbar, praxisnah und patienten-orientiert.
Die Motivierende Gesprächsführung (MI = motivational interviewing) ist die bekannteste und am häufigsten eingesetzte Methode, wenn es darum geht, Patienten weg von einem Risikoverhalten oder hin zu einem gesundheitsförderlichen Lebensstil zu bewegen.
Einsatzgebiete der Motivierenden Gesprächsführung
Die Methode der Motivierenden Gesprächsführung hat sich inzwischen in vielen Bereichen etabliert. Von besonderer Bedeutung für Verhaltensänderungen bei Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen sind die folgenden wichtigen Einsatzgebiete:
- Raucherentwöhnung,
- Alkoholentwöhnung,
- Förderung der körperlichen Aktivität,
- Änderung von Eßgewohnheiten.
Prinzipien der motivierenden Gesprächsführung
Die motivierende Gesprächsführung folgt 5 Prinzipien. Vier davon sind positiv formulierte Handlungsanweisungen an den Therapeuten; ein Prinzip beschreibt, was der Therapeut vermeiden sollte.
1.Zeige Empathie!
Der Therapeut nimmt eine patienten-orientierte, akzeptierende Haltung ein und versucht, durch aktives Zuhören die Situation aus der Sicht des Patienten zu betrachten und zu verstehen.
2. Erzeuge Diskrepanz!
Mit Hilfe von gezielten (offenen) Fragen geht der Therapeut direktiv vor, um den Patienten dabei zu unterstützen, Argumente für eine Änderung zu entwickeln. Wenn der Patient erkennt, daß sein momentanes Verhalten im Widerspruch zu wichtigen Zielen und Vorstellungen für seine Zukunft steht (kognitive Dissonanz), kann diese Erkenntnis die Veränderungsbereitschaft stärken.
3. Gehe flexibel mit Widerstand um!
Ambivalenz oder Widerstand werden als normaler Teil des Veränderungsprozesses (und nicht als "krankhaft") angesehen. Auf konfrontatives Vorgehen wird verzichtet. Stattdessen können verschiedene deeskalierende Strategien zum Einsatz kommen. Eine häufig eingesetzte Strategie ist das sogenannte „reframing“. Dabei wird ein Verhalten in einen anderen Bezugsrahmen gesetzt (z. B. „Auch auf Umwegen kann man zum Ziel gelangen.“) Aktives Zuhören unterstützt auch hier den Patienten dabei, eigene Lösungswege zu finden.
4. Stärke die Selbstwirksamkeit!
Der Patient wird in der Zuversicht bestärkt, daß er Veränderungen erreichen kann. Die Selbstwirksamkeits-Erwartung ist ein zentraler Aspekt der Motivation, der sich generell als wichtig für den Behandlungserfolg erwiesen hat.
5. Vermeide Beweisführung!
Das Problemverhalten (z. B. Rauchen, Alkoholkonsum, übermäßige Kalorienaufnahme, Bewegungsmangel) soll nicht anhand von Fakten nachgewiesen werden. Auch mit Diagnosebezeichnungen wie "Alkoholiker" oder „Raucher“ sollten Therapeuten eher zurückhaltend umgehen. Beide Vorgehensweisen können erfahrungsgemäß Widerstand erzeugen.
Weitere therapeutische Prinzipien bei der motivierenden Gesprächsführung
- Zeige aufrichtiges Interesse am Klienten und seiner Situation vor allem durch aktives Zuhören!
- Lenke das Gespräch durch offene Fragen auf die Nachteile des momentanen Verhaltens und auf die Vorteile einer Veränderung ("Welche Vorteile hätte es, aufzuhören?")!
- Vermittle durchgehend Akzeptanz und Bestätigung!
- Wecke selbstmotivierende Haltungen des Klienten, die Problemeinsicht, Bedenken und Veränderungsbereitschaft hervorlocken und verstärke gezielt (selektiv) diese Haltungen!
- Begegne dem Patienten so, daß er stets die freie Wahl hat und selbst entscheiden kann, was er möchte!
Schritte der Motivierenden Gesprächsführung (am Beispiel einer Verhaltensänderung im Rahmen der Raucherentwöhnung )
Nikotin-Freiheit
Entgegen weit verbreiteter Vorurteile ist die ärztliche Empfehlung, mit dem Rauchen aufzuhören, eine sehr effiziente Intervention. Deren Erfolgsaussichten können weiter gesteigert werden, wenn grundlegende verhaltensmedizinische Strategien beachtet und angewendet werden.
Die 5A-Kurzintervention zur Raucheranamnese und zur Motivation zur Nikotinfreiheit
Die 5A-Bezeichnung leitet sich von den ersten Begriffen der englischsprachigen Empfehlungen ab, die im Rahmen dieser Motivationsmethode eingesetzt werden.
Ask about tobacco use (Fragen Sie nach den Rauchgewohnheiten):
- "Wie lange rauchen Sie schon?"
- "In welchem Alter haben Sie mit dem Rauchen angefangen?"
- Fagerström-Test
- CO-Test
Advise to quit (Raten Sie zu einem Ausstieg aus dem Rauchen):
- Überzeugen Sie mit klaren, kurzen Worten jeden Tabakkonsumenten aufzuhören!
- Diese Empfehlung sollte immer personenbezogen sein, d.h. an ein spezielles Anliegen des Patienten anknüpfen („Sie als Diabetiker sollten nicht rauchen, weil …“ oder „Wenn Sie etwas gegen Ihre Potenzstörungen tun wollen, so ist es sinnvoll, mit dem Rauchen aufzuhören“).
Assess willingness to make a quit attempt (Prüfen Sie die Bereitschaft zu einem Ausstiegsversuch):
- Prüfen Sie, ob der Tabakkonsument bereit ist, einen Aufhörversuch zu unternehmen!
- Wenn ja: Assist (weiter zum nächsten Punkt).
- Wenn nein: Informieren Sie sachlich auf Grund der persönlichen Befunde und Situation des Rauchers!
- Ergreifen Sie die 5R-Strategie (siehe unten)!
Assist in Quit Attempt (Unterstützen Sie den Ausstiegsversuch):
- Helfen Sie beim Rauchstop!
- Setzen Sie den Tag der Rauchfreiheit fest (Schlußpunkt-Methode)!
- Verordnen Sie ggf. Medikamente (z.B. Nikotinersatztherapie, Bupropion)!
- Vermitteln Sie bei Bedarf ein Gruppen-Angebot zur Raucherentwöhnung!
- Besprechen Sie kurz die Herausforderungen und mögliche Entzugserscheinungen!
- Empfehlen Sie, alle Tabakprodukte und Aschenbecher zu entfernen!
Arrange follow-up (Organisieren Sie einen Nachsorge-Plan):
- Erstellen und besprechen Sie einen Nachsorgeplan mit definierten Terminen!
- Vereinbaren Sie ein Gespräch vor und nach dem Tag der Rauchfreiheit!
- Sprechen Sie das Thema in jedem Klinik-Entlassungsgespräch oder bei jedem Folgetermin in der Arztpraxis an!
- Erwähnen Sie das Thema in jedem Entlassungsbrief oder Facharztbrief zur Information des Hausarztes!
Die 5R-Kurzintervention für ein Motivationsgespräch zur Nikotinfreiheit
Auch die 5R-Bezeichnung leitet sich von den ersten Begriffen der englischsprachigen Empfehlungen ab, die im Rahmen des Motivationsgesprächs berücksichtigt werden sollten.
Relevance (Relevanz für den Patienten):
- Überzeugen Sie den Patienten, daß die Aufgabe des Rauchens für ihn persönlich relevant ist: „Sie als Patient mit kranken Herzkranzgefäßen, profitieren besonders davon, weil… “, „Sie als Diabetiker sollten nicht mehr rauchen, weil…“, „Sie haben eine schlechte Lungenfunktion; deshalb …“, „Sie haben kleine Kinder zu Hause …“
Risks (Risiken des Rauchverhaltens):
- Erklären Sie dem Patienten seine persönlichen Risiken, wenn er weiter raucht:
- akute Risiken: Atemnot, Asthmaverschlechterung, Impotenz …
- Langzeit-Risiken: Herzinfarkte, Lungenkrebs, chronische Bronchitis mit Sauerstofflangzeitanwendung …
- Umweltrisiken: "Sie haben Kinder mit Heuschnupfen … Sie sind schwanger … Wenn Sie als Vorbild weiter ein solches Risikoverhalten zeigen, fangen Ihre Kinder vermutlich auch bald an, zu rauchen …"
Rewards (Belohnungen durch Rauchstop):
Was können Sie als Patient erwarten? Welchen Nutzen werden Sie von der Aufgabe des Rauchens haben?
Beispiele:
- „Sie können eine baldige Besserung des Gesundheitszustandes erwarten.“
- „Das Essen wird besser schmecken, Ihr Geruchssinn wird besser.“
- „Sie sparen Geld.“
- „Ihr Haus, Ihre Kleidung riechen besser.“
- „Sie sind ein gutes Beispiel für Kinder.“
- „Ihre Haut wird schöner.“
- …
Roadblocks (Hindernisse, Barrieren auf dem Weg zur Nikotinfreiheit):
Welche Hindernisse gibt es? Wie sind sie zu beseitigen?
Beispiele:
- Entzugssymptome,
- Angst vor Misserfolg,
- Gewichtszunahme,
- fehlende Unterstützung,
- Depression,
- Genuß beim Rauchen,
- fehlende Entspannung,
- ...
Repetition (Wiederholung):
- Diese Motivationsgespräche sollten bei jeder Visite/jedem Praxisbesuch kurz wiederholt werden.
- Die Tabakkonsumenten, die wieder rückfällig geworden sind, sollten erinnert werden, daß die meisten Raucher mehrere Rauchstopversuche unternehmen, bevor sie es endgültig schaffen.
Fazit für die psychopneumologische Praxis
Die Hintergründe und Methoden der Motivierenden Gesprächsführung sind inzwischen gut erforscht. Die Wirksamkeit im Rahmen von Verhaltensänderungs-Programmen ist belegt. Damit steht eine leicht erlernbare und praxistaugliche Intervention zur Unterstützung der Selbstmotivation zur Verfügung, die gerade bei Risikoverhalten von Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen immer mehr zum Einsatz kommen sollte.
Weiterführende Literatur: S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“
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Beitragschronik
Erstveröffentlichung: 26.5.2022
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