Psyche, Lunge, Lebensstil: Welche Bedeutung hat das Gesundheitsverhalten?
Wie die Umsetzung von förderlichem Gesundheitsverhalten auch bei Menschen mit chronischen Lungen-Erkrankungen im Alltag gelingt.
Gesundheitsrelevanter Lebensstil
Kennst Du die fünf „Gesunden Gewohnheiten“, die wesentlich darüber entscheiden, wie gesund oder krank Du ab der Lebensmitte Deine Lebensjahre verbringst?
Es sind:
- gesunde Ernährung,
- Aufrechterhaltung eines gesunden Gewichts,
- regelmäßige sportliche Betätigung,
- Einschränkung des Alkoholkonsums,
- Nichtrauchen.
Klingt so einfach – und scheint doch für viele so schwer umzusetzen. Statt diese fünf „Healthy Habits“ zu praktizieren, pflegen viele Menschen eher einen gesundheitsschädlichen als einen gesundheitsförderlichen Lebensstil.
Gesundheitsverhalten: Schutz- oder Risikoverhalten?
Gesundheitsverhalten ist ein Aspekt des gesundheitsrelevanten Lebensstils.
Es gilt zu unterscheiden zwischen förderlichem Gesundheitsverhalten (Schutzverhalten) und gefährdendem Gesundheitsverhalten (Risikoverhalten).
Die Zuteilung kannst Du vermutlich leicht vornehmen:
- Wer häufig zu Fertiggerichten (junk food) greift,
- wer Jahr um Jahr an Gewicht zulegt („Hüftgold“),
- wer immer mehr zum Bewegungsmuffel (couch potatoes) wird,
- wer regelmäßig (zu viel) Alkohol trinkt,
- wer nicht von der Zigarette loskommt...
zeigt im Hinblick auf seinen Lebensstil ein Risikoverhalten.
Für Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen gelten alle diese Verhaltensweisen als bedenklich. Hinzu kommen noch ein ungenügendes Streß-Management und verminderte Entspannungsfähigkeit als relevantes Risikoverhalten.
Eine Entwicklung hin zu einem ausgewogenerem Gesundheitsverhalten ist wünschenswert. Es gibt verschiedene Modelle, wie diese Entwicklung angestoßen und gefördert werden kann.
Modelle des Gesundheitsverhaltens
Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen begegnen im Rahmen von Patienten-Schulungen in der Regel einem der drei folgenden Modelle:
- Transtheoretisches Modell,
- HAPA,
- Behaviour Change Wheel.
Transtheoretisches Modell (TTM)
Viele Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen haben eine Raucher-Biographie. Aus der Raucher-Entwöhnung stammt auch das TTM, ein weit verbreitetes Modell des Gesundheitsverhaltens, das heute auch bei anderen Gesundheitsverhaltensweisen angewendet wird.
Das Transtheoretische Modell unterscheidet beim Prozess der Verhaltensänderung fünf Stadien bzw. Motivationsstufen.
Am Beispiel der Raucherentwöhnung sehen die Motivationsstufen bei einem nikotinabhängigen Patienten etwa so aus:
- Stufe 1 – Absichtslosigkeit: A denkt nicht darüber nach, mit dem Rauchen aufzuhören.
- Stufe 2 – Absichtsbildung: A überlegt, mit den Rauchen aufzuhören, hat aber noch keinen festen Vorsatz gefaßt.
- Stufe 3 – Vorbereitung: A hat sich fest vorgenommen, mit dem Rauchen aufzuhören. Er versucht, ein paar Tage ohne Zigaretten auszukommen.
- Stufe 4 – Umsetzung oder Handlung: A verzichtet ganz auf das Rauchen.
- Stufe 5 – Aufrechterhaltung: Das Nicht-Rauchen wird für A zur Gewohnheit.
Die fünf Stadien der Verhaltensänderung werden häufig in Form einer Spirale dargestellt. Diese Darstellung macht deutlich, daß es für die betroffene Person Bewegungsmöglichkeiten sowohl in Richtung eines Fortschritts hin zu einer geplanten Verhaltensänderung als auch in Richtung eines Rückschritts geben kann. Rückschritte sind Lernmöglichkeiten.
Verschiedene Strategien oder Veränderungs-Prozesse können den Betroffenen helfen, von einem Stadium ins nächste zu kommen.
Die fünf kognitiv-affektiven Prozesse sind:
- Steigern des Problembewusstseins,
- emotionales Erleben,
- Neubewertung der persönlichen Umwelt,
- Selbstneubewertung,
- Wahrnehmen förderlicher Umweltbedingungen.
Die fünf verhaltensorientierten Prozesse sind:
- Gegenkonditionierung,
- Kontrolle der Umwelt,
- Nutzen hilfreicher Beziehungen,
- (Selbst-) Verstärkung,
- Selbstverpflichtung.
Neben den Stadien und Prozessen umfaßt das Transtheoretische Modell eine Entscheidungsbalance (Vorteile und Nachteile) und stützt sich auf die Selbstwirksamkeitserwartung (beim Umgang mit gewünschtem und ungewünschtem Verhalten).
Das klingt sehr theoretisch, besitzt jedoch bei geschulter Anwendung eine hohe praktische Relevanz. Es ermöglicht, Zielgruppen stadienspezifisch zu identifizieren, für diese dann spezifisch abgestimmte Interventionen zu entwickeln und durch Einbezug der Entscheidungsbalance und Selbstwirksamkeitserwartung den Weg zu einem förderlichen Gesundheitsverhalten zu bahnen.
Das TTM ist durch zahlreichen wissenschaftliche Studien umfassend empirisch überprüft worden. Interventionsstudien (vor allem zum Tabakrauchen) konnten die Nützlichkeit und Praktikabilität des Modells belegen.
[Quelle: Keller, S. (2004). Motivation zur Verhaltensänderung-aktuelle deutschsprachige Forschung zum transtheoretischen Modell. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 12(2), 35-38.]
HAPA (Health Action Process Approach)
HAPA ist ein Prozeßmodell des Gesundheitsverhaltens.
Es umfaßt die Abfolge von zwei kontinuierlichen Selbstregulationsprozessen:
- Zielsetzungsphase (Motivation),
- Zielverfolgungsphase (Volition).
Zielsetzungsphase (Motivation): Die Zielsetzung wird durch die Risikowahrnehmung, Handlungsergebniserwartung und Selbstwirksamkeitserwartung beeinflußt.
Zielverfolgungsphase (Volition): Wichtige Vorhersagefaktoren der Zielverfolgung sind die Planung und die Selbstwirksamkeitserwartung.
Das Modell vereint verschiedene Annahmen. So werden unter anderem für die Entwicklung von Interventionen drei Stadien der Handlungsbereitschaft gebildet:
- Unmotivierte,
- Motivierte,
- Aktive.
Diese Unterteilung ermöglicht es, Interventionen auf die Variablen maßzuschneidern, die in dem jeweiligen Stadium relevant sind.
Hier ein paar Beispielfragen aus dem HAPA-Assessment für die Motivations- und die Volitionsphase.
Motivation – Aufgaben Selbstwirksamkeit:
Manchmal kommt es anders als geplant. Wie sicher sind Sie sich, daß Sie nach Abschluss der Reha das Folgende schaffen?
Ich bin mir sicher, …
1 ...daß ich mindestens zwei Mal in der Woche zwanzig Minuten lang körperlich aktiv sein kann.
2 ...daß ich mich mindestens einmal wöchentlich körperlich betätigen kann.
3 ...daß ich ein körperlich aktives Leben führen kann.
Motivation - Positive und Negative Handlungsergebniserwartungen
Denken Sie bitte an die Auswirkungen, die sich aus Ihren körperlichen Aktivitäten
ergeben können.
Wenn ich an zwei oder mehr Tagen pro Woche jeweils mindestens 20 Minuten körperlich aktiv bin,…
1 ...dann kann ich neue Freunde kennen lernen.
2 ...dann fühlen sich dadurch Personen in meiner Umgebung stark beeinträchtigt.
3 ...dann habe ich nicht mehr genug Zeit für andere Dinge.
4 ...dann habe ich Angst, mich zu verletzen.
5 ... dann werde ich belastbarer für den Alltag.
6 ... dann tue ich etwas Gutes für meine Gesundheit.
7 ...dann kostet mich das jedes Mal große Selbstüberwindung.
8 ...dann wirkt sich das positiv auf meine Figur aus.
9 ...dann muss ich dafür jedes Mal einen großen (organisatorischen) Aufwand betreiben.
10 ... dann fürchte ich mich vor Misserfolgen.
11 ... dann bin ich mit netten Leuten zusammen.
12 ... dann fühle ich mich anschließend einfach wohler.
Volition – Rückfall Selbstwirksamkeit
Trotz guter Vorsätze kann es zu kleineren oder größeren Rückschlägen kommen. Stellen
Sie sich nun vor, Sie hätten eine Weile keinen Sport mehr getrieben. Wie zuversichtlich sind
Sie, zu regelmäßiger körperlicher Aktivität zurückzukehren, wenn Sie damit mal ausgesetzt
haben?
Ich bin mir sicher, daß ich wieder körperlich aktiv werden kann, …
1 ... auch wenn ich meine konkreten Pläne mehrmals verschoben habe.
2 ... auch wenn ich mich einmal nicht aufraffen konnte.
3 ... auch wenn ich mehrmals ausgesetzt habe.
4 ... auch wenn ich schon mehrere Wochen ausgesetzt habe.
5 ... auch wenn ich das nach einem Urlaub erstmal neu organisieren muss.
6 ... auch wenn ich mich nach einer Krankheit erstmal kraftlos fühle.
Volition - Intention
Welche Vorsätze haben Sie für die nächsten Wochen?
Ich habe mir vorgenommen,...
1 ...gesund zu leben.
3 ...mich auch im Alltag körperlich zu bewegen (z.B. bei anstrengenden Haus- oder Gartenarbeiten).
4 ...mich auf dem Weg nach Hause und zum Einkaufen körperlich zu bewegen (z.B.
Fahrradfahren, Treppensteigen, längere Strecken laufen).
5 ...in meiner Freizeit körperlich aktiv zu sein (z.B. Spazieren gehen, Wandern).
6 ...gezielte Übungen (z.B. für den Rücken) zu machen.
7 ...zusätzlich noch Sport zu treiben (z.B. Ausdauersport und Muskeltraining).
8 …gelegentlich (mindestens ein Mal pro Monat) etwas anstrengende körperliche Aktivitäten für mindestens 20 Minuten auszuüben.
9 …insgesamt an zwei oder mehr Tagen pro Woche etwas anstrengende Aktivitäten für jeweils mindestens 20 Minuten auszuüben.
Bei allen Fragen reicht das Rating von „stimmt nicht“ über „stimmt kaum“ und „stimmt eher“ bis zu „stimmt genau“. Die Beispielfragen zeigen die Richtung an, wie eine Verhaltensänderung im HAPA angestrebt wird.
[Quelle: Schwarzer, R., Lippke, S., & Luszczynska, A. (2011). Mechanisms of health behavior change in persons with chronic illness or disability: the Health Action Process Approach (HAPA). Rehabilitation psychology, 56(3), 161.]
Behaviour Change Wheel (BCW)
Das BCW entfaltet die drei Komponenten eines grundlegenden Verhaltens-Modells, des COM-B-Modells. Das COM-B-Modell beschreibt Verhalten (behaviour) als Ergebnis von:
- Fähigkeit (capability),
- Gelegenheit (opportunity),
- Motivation (motivation) .
Diese theoretischen Grundlagen der Verhaltensänderung können den Weg zu einem besseren Verständnis von Änderungsbereitschaft und Motivation ebnen. Deshalb an dieser Stelle ein paar Begriffsklärungen und Beispiele zum COM-B-Modell.
Was bedeuten die einzelnen Begriffe?
Fähigkeit (capability) – innerhalb der Person
- die körperlichen Möglichkeiten, eine Handlung zu bewältigen
- die geistigen und psychologischen Voraussetzungen, den Sinn einer Handlung zu verstehen
- Wissen, Können, Kompetenzen der Person
Gelegenheit (opportunity) – außerhalb der Person
- physikalische Faktoren (z. B. Infrastruktur)
- soziale Faktoren (z. B. Sprache, Konzepte, Denkweisen des Umfeldes, wie man über eine Sache üblicherweise denkt).
Motivation (motivation) – innerhalb der Person
- reflektierte Prozesse (z. B. Kosten-Nutzen-Rechnung)
- automatisierte Prozesse (z. B. emotionale Impulse wie Spaß, Genuss, Ärger, Leiden oder Veranlagungen oder Routinen)
- Prozesse „dazwischen“ (z. B. Bedeutungsrahmen: Was verbinde ich mit einer Handlung?)
Hier ein Beispiel, um dieses abstrakt klingende theoretische Modell zu veranschaulichen. Es geht um einen Patienten mit Atemnot bei körperlicher Aktivität.
Fähigkeit
Der Patient kann leichte körperliche Aktivität mit geringer Atemnot ausführen (z. B. innerhalb seiner Wohnung).
Gelegenheit
Der Patient ändert sein Verhalten nicht, obwohl er zuhause die Möglichkeit dazu hätte (z. B. indem er während jeder Werbe-Pause im Fernsehen in angemessenem Tempo und mit den erforderlichen Pausen eine Runde in der Wohnung drehen könnte).
Motivation
Eine Verhaltensänderung ist dem Patienten kein zentrales Anliegen, weil er kein Bewusstsein dafür hat, wie notwendig es ist, seine sitzende (oder liegende) Lebensweise regelmäßig zu unterbrechen, um seine verbliebene Selbständigkeit zu erhalten. Oder der Patient weiß nicht, wie er diese Unterbrechungen schaffen kann.
[Quelle: Michie, S., Van Stralen, M. M., & West, R. (2011). The behaviour change wheel: a new method for characterising and designing behaviour change interventions. Implementation science, 6(1), 1-12.]
Im nächsten Blog-Beitrag geht es darum, vom Wissen um die Modelle des Gesundheitsverhaltens zum Wollen einer Verhaltensänderung zu gelangen.
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- Erstveröffentlichung: 3.5.2022
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