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Psyche, Lunge, Lebensstil: Vom Wissen zum Wollen

Monika Tempel • Mai 10, 2022

Wie gelingt der Übergang vom Wissen zum Wollen für Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen?



Die Drei von der „Piazza“

 

Seit die Stadt vor dem lokalen Einkaufszentrum eine geschwungene Sitzlandschaft aufgestellt hat, treffen sich dort jeden Vormittag drei Personen mittleren Alters. Die beiden Männer nehmen nie Platz auf der einladenden Holzbank. Sie stützen sich stattdessen in atemerleichternder Position auf die Lenkstangen ihrer Einkaufswagen (die stets leer sind und es zumeist auch bleiben). Nur die Frau sitzt rauchend und angespannt auf der Bank und wippt nervös mit einem Bein.

 

Manchmal stelle ich mir vor, worüber sie sich unterhalten…

 

Herr A sagt, er plane, nach dem Plausch noch eine Runde mit Hund um den nahegelegenen Baggersee zu drehen. Schließlich müsse man regelmäßig was für die Gesundheit tun, egal ob es regnet oder ob die Sonne lacht. Deshalb habe er heute seinen Hund mitgebracht.

 

Herr B stimmt ihm zu mit Blick auf die tägliche Bewegung und meint, er habe ebenfalls einen Spaziergang vor, allerdings wohl eher erst am Nachmittag.

 

Frau C äußert, sie wolle sich auch noch etwas bewegen, aber sie wisse noch nicht, was sie genau unternehmen möchte.

 

Dann überlege ich, was die Drei am kommenden Tag wohl von ihren Unternehmungen berichten werden…



Wer überschreitet den Rubikon?

 

Die Absicht (in diesem Fall: sich mehr zu bewegen) garantiert nämlich keineswegs, daß ein entsprechendes Verhalten nachfolgt. Welche Faktoren bewirken, daß Menschen an ihren gesetzten Zielen erfolgreich festhalten und sie tatsächlich in Verhalten umsetzen?

 

Die Drei von der „Piazza“ haben vermutlich noch nie etwas von Risikowahrnehmung, Selbstwirksamkeitserwartung, antizipierten (vorweggenommenen) Handlungsergebnissen und anderen Faktoren des Gesundheitsverhaltens gehört. Das Beispiel macht aber deutlich, daß alle Drei zwar die feste Absicht haben, sich im Laufe des Tages körperlich zu betätigen. Die Konkretheit ihres Vorhabens unterscheidet sich jedoch deutlich.

 

Das ist ein wesentlicher Faktor, um „den Rubikon zu überschreiten“, d. h. um vom Wissen („Ich sollte mich meiner Gesundheit zuliebe mehr bewegen.“) zum Wollen zu kommen („Im Anschluß an unseren Plausch gehe ich sofort mit Waldi um den Baggersee.“).

 


Rubikon-Modelle erklären den Übergang von der Motivation zur Volition

 

Wertvolle Ansätze für Lebensstiländerungen liefern beim Thema Gesundheitsverhalten jene Modelle, die zwischen Motivation (Handlungsbereitschaft) und Volition (Selbststeuerung zur Zielerreichung) unterscheiden.

 

Drei typische Modelle sind:

 

  • das Rubikon-Modell (nach Heckhausen, 1989),
  • Health Action Process Approach (HAPA nach Schwarzer, 1992),
  • das MoVo-Konzept (nach Fuchs & Göhner, 2007).

 

Diese Modelle untersuchen genauer, wie der Prozeß nach der Absichtsbildung verläuft. So können sie erklären, wieso es in dem einen Fall zu einer Handlungsausführung oder in einem anderen Fall zur Aufgabe der Absicht kommt. Daraus leiten sie konkrete Empfehlungen und Interventionen ab, um Lebensstiländerungen zu erleichtern.



Rubikon-Modell: mit Handlungsplänen zum Ziel

 

Handlungspläne (Action plans) legen detailliert fest, wann, wo und wie ein Verhalten ausgeübt werden soll. Sie haben die Struktur von „Wenn-Dann-Beziehungen“ (siehe oben: „Wenn unser Plausch zu Ende ist, dann gehe ich sofort mit Waldi um den Baggersee.“)

 

Damit wird ein Automatismus in Gang gesetzt: Die Person überträgt die Kontrolle des Verhaltens an die Umwelt. Der „Wenn-Teil“ ist der Reiz, der den „Dann-Teil“ als Reaktion auslöst.

 

Je konkreter Handlungspläne gebildet werden (in Form von "Wenn, dann- wann-wo-wie-Plänen"), desto einfacher können sie auch umgesetzt werden.

 

[Quelle: Heckhausen, J., & Heckhausen, H. (Hrsg.). (2006). Motivation und Handeln. Springer-Verlag.]



HAPA: Ziele setzen und Ziele verfolgen

 

Health Action Process Approach (HAPA) beschreibt, daß sich Menschen erst ein Ziel setzen müssen, dessen konkrete Umsetzung sie danach detailliert planen müssen.

 

Außerdem unterscheidet das HAPA noch verschiedene Stadien der Handlungsbereitschaft und entwickelt entsprechende Interventionen für:


  • Unmotivierte,
  • Motivierte,   
  • Aktive.

 

Hintergrundinformationen zum HAPA wurden bereits im Blog-Beitrag: „Psyche, Lunge, Lebensstil: Welche Bedeutung hat das Gesundheitsverhalten?“ vorgestellt. Dort kannst Du Dir auch anhand von Beispielfragen aus dem HAPA-Assessment ein Bild davon machen, wie HAPA dazu verhilft, von der Motivation zur Volition zu gelangen.

 

[Quelle: Website von Ralf Schwarzer, englischsprachig]



Das MoVo-Konzept: Hohe Motivation kann nur wirken, wenn Umsetzungskompetenz vorhanden ist.

 

Vielen fällt es schwer, ein Gesundheitsverhalten, das sie als angemessen erkannt haben, in die Tat umzusetzen und dauerhaft in den Alltag zu integrieren.

 

Was also fehlt, ist nicht Motivation, sondern Volition: die Fähigkeiten für den Prozeß, bei dem die Absicht in die Tat umgesetzt wird. Denn zur Umsetzung braucht es Fähigkeiten wie Selbststeuerung und Handlungskontrolle – kurzum: die Fähigkeit, den „Inneren Schweinehund“ zu bändigen.

 

Konkrete Schritte, die zu Selbststeuerung und Handlungskontrolle führen, sehen beispielsweise so aus:

 

Ich motiviere mich mit Hilfe meiner Vorstellungskraft (Imagination) und führe mir in Gedanken so anschaulich wie möglich vor Augen, wie es ist, wenn ich mein Ziel erreicht habe.

 

Ich beeinflusse meine Emotionen (Gefühle) und sorge dafür, daß meine Stimmung zu der gerade geplanten Handlung paßt.

 

Ich beende „gefährliche Gedanken“, wie beispielsweise „Einmal ist keinmal!“. Stattdessen sage ich innerlich: „Stop! Ich tue, was ich mir vorgenommen habe. Und jetzt Schluß!“

 

Ich verabrede mich mit anderen. Am wirkungsvollsten ist es, wenn der gemeinsame Termin ohne mich gar nicht stattfinden könnte.

 

Ich schaffe mir „Starthilfen“, die als Reiz eine ganz bestimmte Reaktion auslösen.

 

Ich nutze die Macht der Gewohnheit und übe mein Gesundheitsverhalten in einem festen Rhythmus aus.

 

Ich genieße meine Erfolge, nehme sie ganz bewußt wahr und erzähle auch anderen davon. Jeder Erfolg zählt und motiviert zu neuen Taten.

 

Ich suche mir Vorbilder, lasse mich von ihnen inspirieren und ermutigen, beispielsweise anhand der Fragen: Wie hat mein Vorbild sein Training aufgebaut? Wie ist es mit seinen Rückschlägen umgegangen? Wie hat es sich motiviert?

 

Ich bitte Partner, Familie, Freunde um Unterstützung, z. B. organisatorische Hilfe, Rücksichtnahme, Erinnern, Ermuntern, Ermutigen und am besten sogar durch Mitmachen. Aktive Unterstützung durch das soziale Netz gilt laut Studien als wirkungsvollster Motivator.

 

Ich gebe mir Zeit für mein Gesundheitsverhalten. Dazu nutze ich ein kluges Zeitmanagement:


  • Planen: Ich trage meine Gesundheitstermine in meinen Kalender ein
  • Gewichten: Ich gebe meinen Gesundheitsterminen das gleiche Gewicht wie anderen wichtigen Terminen, zum Beispiel dem Arztbesuch.
  • Schützen: Ich erkläre meine Gesundheitstermine für „unantastbar“, zu einem „Jour fixe“, an dem ich nicht rütteln lasse.

 

 


Wie ist es weitergegangen mit den „Drei von der Piazza“?

 

Wer die obigen Ausführungen aufmerksam gelesen hat, wird vermutlich nicht überrascht sein über die Berichte der „Drei von der Piazza“ am nächsten Tag.

 

Frau C erklärt, sie habe es sich im Laufe des Tages dann doch anders überlegt und statt eines Spaziergangs zuhause auf dem Sofa eine Netflix-Serie geschaut.

 

Herr B gibt kleinlaut zu, daß er eigentlich am Nachmittag schon kurz davor gewesen sei, aufzubrechen, als ihn plötzlich eine akute Lust- und Kraftlosigkeit überfallen habe. Auch er war schließlich auf der Couch gelandet. Und als er erstmal in den Tiefen des Internets surfte, war die Bewegungseinheit vergessen. Als am Abend das Wetter zu unbeständig schien, überkam ihn das schlechte Gewissen. Der „Innere Schweinehund“ hatte mal wieder gesiegt.

 

Herr A dagegen ist, wie geplant, direkt nach dem Plausch am Einkaufszentrum mit Waldi um den Baggersee spaziert, obwohl er keine richtige Lust dazu hatte. Am Baggersee hatte er Frau D getroffen und beim Erzählen mit ihr war ihm die Runde viel kürzer erschienen als sonst. Danach war er zufrieden nach Hause gegangen und hatte sich nach einem leckeren Mittagessen einen entspannten Nachmittag auf dem Sofa gegönnt…

 

Im nächsten Blog-Beitrag geht es darum, warum Dranbleiben und immer wieder neu beginnen gerade bei Lebensstiländerungen im Bereich von körperlicher Aktivität und bei der Raucherentwöhnung so wichtig sind.

 


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Beitragschronik

 

  • Erstveröffentlichung: 10.5.2022

 


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