Ursachen, Wahrnehmung und Auswirkungen von Atemnot können sehr unterschiedlich sein. Alle Faktoren haben Bedeutung für die Psychopneumologie.
Nach der Definition der American Thoracic Society ist Atemnot „die subjektive Erfahrung von Atembeschwerden, bestehend aus qualitativ unterschiedlichen Empfindungen wechselnder Intensität. Physiologische, psychologische, soziale und Umweltfaktoren wirken zusammen. Atemnot kann weitere körperliche Reaktionen und Verhaltensreaktionen hervorrufen.“
Maßstab für die Bewertung der Atemnot ist (wie bei der Schmerz-Erfassung) die Erfahrung der Person, die unter Atemnot leidet.
Atemnot kann akut (plötzlich) auftreten oder chronisch (dauerhaft) vorhanden sein.
Chronische Atemnot macht sich zunächst meist nur bei körperlicher oder seelischer Belastung bemerkbar (Belastungsdyspnoe).
Wenn eine zugrundeliegende Erkrankung jedoch fortschreitet, tritt die Atemnot im Verlauf auch bei alltäglichen Beschäftigungen (wie Essen, Sprechen) oder sogar im Ruhezustand auf (Ruhedyspnoe).
Im klinischen Alltag ist es wichtig, den Schweregrad einer Atemnot möglichst genau zu erfassen. Dazu gibt es verschiedene Einteilungsschemata (Skalen):
1. BORG-Skala (häufiges Meßinstrument für die Atemnot bei Belastungstests),
2. mMRC-Skala (Meßinstrument für die Schweregrad-Einteilung der COPD).
Atemnot ist eines der häufigsten und gleichzeitig eines der am wenigsten verstandenen klinischen Symptome. Jeder Patient empfindet und verarbeitet Atemnot in höchst unterschiedlicher Weise. Der durch Atemnot verursachte Krankheitswert kann also nicht einheitlich definiert werden und wird durch die Messung des Schweregrades nur unzureichend erfaßt.
Vor allem für die Psychopneumologie lohnt die Auseinandersetzung mit Atemnot-Modellen, die mehrere Dimensionen berücksichtigen.
Einen gewissen Fortschritt bei der differenzierten Betrachtung der Atemnot brachte die Orientierung an erprobten Konzepten der Schmerz-Forschung. Neben der Intensität werden der Grad des Mißempfindens (Unangenehmheit) und die gefühlsmäßige Reaktion darauf berücksichtigt. Hinzu kommen außerdem Angst, Depression und andere psychologische Faktoren, die durch die Symptome der Atemnot im Leben der Patienten ausgelöst werden.
Die einzelnen Dimensionen lassen sich noch weiter differenzieren und erforschen. Allerdings sind Experimente mit Atemnot wesentlich schwieriger durchzuführen als Schmerz-Studien. Dennoch ist die Orientierung an den mehrdimensionalen Konzepten der Schmerzforschung hilfreich und hat bisher ermutigende Ergebnisse erbracht.
Das Multidimensionale Dyspnoe-Profil (MDP) ist ein bewährtes vielschichtiges Atemnot-Modell und unterscheidet zwischen:
Bei den sensorischen Qualitäten unterscheidet man:
Diese subjektive Unterteilung steht in Zusammenhang mit Signalen von unterschiedlichen Afferenzen (Informationszuflüssen).
„Lufthunger“ ist die bewußte Wahrnehmung eines fundamentalen biologischen Atemdranges.
Sie ist nicht abhängig vom willentlichen Atemantrieb (Kortex), sondern steht im Zusammenhang mit dem automatischen Atemantrieb (Hirnstamm).
„Lufthunger“ entsteht durch ein Mißverhältnis von Atemantrieb und Ventilation (z. B. bei Respiratorischer Globalinsuffizienz aufgrund einer fortgeschrittenen COPD).
Die Empfindung „Lufthunger“ läßt sich durch Hyperkapnie (erhöhten Kohlenstoffdioxid-Gehalt im Blut) provozieren und ist wahrscheinlich identisch mit der häufig von Patienten beschriebenen „ungenügenden Inspiration“ (z. B. bei dynamischer Überblähung).
Diese Empfindung ist nicht spezifisch für eine Krankheit oder einen Stimulus.
Bei „Lufthunger“ sind dieselben Gehirnzentren aktiv wie bei Schmerz, Durst und Hunger – Empfindungen, die allesamt vitale Gefahren signalisieren.
„Exzessive Atemarbeit“ beschreibt die bewußte Wahrnehmung der willentlichen zentralen Aktivierung der peripheren und respiratorischen Muskulatur.
Dies geschieht mit Hilfe eines internen Feedbacks (Rückmeldung) vom Hirnstamm an den sensorischen Kortex nach Beginn der Belastung.
Die unangenehme Erfahrung von „Exzessiver Atemarbeit“ wird üblicherweise von Patienten mit Asthma und COPD bzw. bei erschöpfter Atempumpe berichtet.
„Engegefühl/Brustenge“ wird in der Regel aufgrund afferenter Signale bei Verengung der Bronchien erlebt.
Es ist beispielsweise die dominante Erfahrung in frühen Stadien eines Asthmaanfalls, der im weiteren Verlauf auch zu verstärkter „Atemarbeit“ und „Lufthunger“ führt.
Mechanische Beatmung kann die Erfahrung von „Brustenge“ nicht mindern, wohl aber die nachfolgend erhöhte „Atemarbeit“.
Vergleichbar dem Konzept des „total pain“ (Saunders, ca. 1960) öffnet das Modell der „total dyspnea“ den Blick auf die Verflechtungen zwischen den verschiedenen Dimensionen der Atemnot und den
Eine angemessene Erfassung der individuellen Atemnot muß folgende Kategorien
berücksichtigen:
Die sensorische Intensität der Atemnot wird am einfachsten mit einer visuellen oder numerischen Analogskala (z. B. BORG-Skala) gemessen.
Die multidimensionalen Aspekte können besser mit einem multidimensionalen Dyspnoe-Profil (MDP) oder mit krankheitsspezifischen Lebensqualitäts-Fragebögen (z. B. St. George´s Respiratory Questionnaire = SGRQ oder Severe Respiratory Insufficiency Questionnaire = SRI) erfaßt werden.
Der COPD-Assessment-Test (CAT) bewährt sich als praxistaugliches Erfassungsinstrument.
Von Atemnot reden bedeutet: von Angst reden. Atemnot und Angst erscheinen auf den ersten Blick wie Siamesische Zwillinge. Bei genauerem Hinsehen enthüllen sich vielfältige psychopneumologische Zusammenhänge.
Die Wahrnehmung von Atemnot differiert erheblich. Für diese Schwankungsbreite scheinen zum einen Unterschiede in der neuronalen Verarbeitung verantwortlich zu sein.
Auch psychische Einflußfaktoren (v. a. Emotionen) spielen – laut ersten Studien – eine bedeutsame Rolle bei der Wahrnehmung von Atemnot:
Lernprozesse scheinen ebenfalls bei der Wahrnehmung von Atemnot beteiligt zu sein:
Schließlich scheint (trotz teilweise widersprüchlicher Studienbefunde) auch die Aufmerksamkeits-Fokussierung die Atemnot-Wahrnehmung zu beeinflussen:
Alle aufgeführten Einflußfaktoren können durch verhaltensmedizinische Maßnahmen günstig beeinflußt werden. Damit stellt die Psychopneumologie eine wirkungsvolle Ergänzung zur medikamentösen und physiotherapeutischen Behandlung dar.
Im Rahmen von Patienten-Schulungen sind verhaltensmedizinische Interventionen beispielsweise im Pneumologischen Rehabilitations-Bereich fest etabliert.
Man unterscheidet Interventionen aus folgenden Bereichen:
(Selbst-)Wahrnehmungs-orientierte Interventionen dienen einer verbesserten Symptom-Wahrnehmung bzw. Symptom-Unterscheidung (z. B. im Rahmen von Selbstmanagement-Programmen für Asthma und COPD).
Ein wesentlicher Bestandteil ist die individuelle Differenzierung zwischen Atemsymptomen und psychischen Symptomen (z. B. Angst, depressive Stimmung). Dies führt zu einer angemesseneren Einschätzung der Atemfunktion. Durch die digitalen Medien (Tablet, Smartphone) eröffnen sich Perspektiven für nachhaltige internet-basierte Selbstmanagement-Programme.
Aus dem Bereich der Körpertherapie hat sich die Kombination von Lungensport mit Atem/Entspannungstechniken als vorteilhaft erwiesen. Neben den allgemein gesundheitsfördernden Effekten und dem positiven Einfluß auf die Lebensqualität läßt sich durch ein angemessenes Training die Auslöseschwelle für Atemnot erhöhen. In der Folge steigt die Akzeptanz für körperliche Aktivität. Damit wird der Abwärtstrend der „Dekonditionierungs-Spirale“ aufgehalten.
Im Gegensatz zur Schulung der (Selbst-)Wahrnehmung kann in anderen Fällen eine gezielte Aufmerksamkeits-Fokussierung hilfreich sein. Durch erfolgreiche Lenkung der Aufmerksamkeit können beispielsweise untrainierte Patienten eine wenig starke Atemnot-Wahrnehmung bei Belastung erfahren. Dies wiederum verstärkt ihre Selbstwirksamkeits-Erwartung, ein wesentliches Fundament für Motivation und Adhärenz.
Vielversprechend sind die Ergebnisse von Achtsamkeitsbasierten Interventionen im Bereich der Psychopneumologie.
Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen weisen eine hohe Komorbidität für Angststörungen und Depressionen auf.
Bei klinisch relevanten psychischen Störungen sind Interventionen aus dem Repertoire der Psychotherapie indiziert, v. a. zur Stimmungsstabilisierung.
Negative Emotionen (wie ängstliche oder depressive Stimmung) führen nämlich zu einer verstärkten Atemnot-Wahrnehmung. Sie können durch Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) günstig beeinflußt werden.
Auch die Unterscheidung physiologischer Reaktionen bei Angstattacken (wie u. a. Hyperventilation und Atemnot) von Symptomen einer exazerbations-bedingten Atemnot hilft zur Unterbrechung des Atemnot-Angst-Teufelskreises.
Leider sind komorbide psychische Störungen bei Lungenkranken häufig unterdiagnostiziert und untertherapiert. Im Praxisalltag bleibt oft wenig Raum und Zeit für diese Thematik. Hier können eine psychopneumologisch-orientierte Gesprächsführung und effektive Screening-Instrumente Abhilfe schaffen.
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