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Psychopneumologie Lexikon: R wie Resilienz

Monika Tempel • Okt. 11, 2022

„Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen.“ Resilienz ist mehr als ein cooler Spruch!



Wieso „mehr als ein cooler Spruch“?


Der Zungenbrecher „Resilienz“ macht in Krisenzeiten Karriere. Zurecht! Denn das dahinterstehende Konzept und die damit verknüpften Modelle verdienen seit langem mehr Aufmerksamkeit und können hilfreiche Anregungen bieten – nicht nur bei chronischen Lungen-Erkrankungen.

 


Resilienz: Herkunft des Begriffs und Bedeutung in verschiedenen Zusammenhängen


Der Begriff Resilienz leitet sich ab vom Lateinischen „resilire“ = zurückspringen, abprallen, nicht anhaften.

 


Physik, Materialkunde


In der Physik (und speziell in der Materialkunde) bezeichnet Resilienz die Fähigkeit eines Materials, nach einer elastischen Verformung in den Ausgangszustand zurückzukehren.

 


Psychologie


In der Psychologie bezeichnet Resilienz die Fähigkeit von Personen, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlaß für Entwicklungen zu nutzen.



Resilienz lag „in der Luft“


Unter anderen Bezeichnungen gibt es bereits seit langem Konzepte, die das Phänomen Resilienz beschreiben. Dazu zählen vor allem:

 

  • die Logotherapie (Viktor Frankl),


  • die Salutogenese (Aaron Antonovsky),


  • das Konzept „Allen Widrigkeiten zum Trotz“ bzw. „Verletzlich, aber unbesiegbar“ (Emmy Werner).

 


Viktor Frankl


Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, betrachtet Sinn als zentralen Resilienzfaktor. Er bezeichnet Sinn als „survival value“ (Überlebens-Wert) und zitiert dazu den Ausspruch von Friedrich Nietzsche: „Wer ein ‚Warum‘ zu leben hat, erträgt fast jedes ‚Wie‘.“


Viktor Frankl überlebte vier Konzentrationslager und beobachtete, daß vor allem das Bewußtsein einer familiären Bindung und Verantwortung, Humor und die Fähigkeit zur Imagination (Vorstellungskraft für Vergangenes und Zukünftiges) zum Überleben der KZ-Gefangenen betrugen.

 


Aaron Antonosky


Auch Aaron Antonovsky entwickelte sein Salutogenese-Konzept im Zusammenhang mit den Erfahrungen von KZ-Überlebenden. Die Salutogenese geht davon aus, daß wir alle im Fluß des Lebens zwischen den Ufern Gesundheit und Krankheit schwimmen. In dem Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit hängt unsere Position wesentlich ab vom jeweiligen Kohärenzgefühl (sense of coherence).


Mit dem Kohärenzgefühl beschreibt Aaron Antonovsky die Antworten auf folgenden Fragen angesichts belastender Lebensereignisse:


     1. Ich verstehe, was geschieht.


     2. Ich kann handhaben, was geschieht.


     3. Ich weiß, wozu.

 


Emmy Werner


In der berühmten „Kauai-Studie“ (Hauptinsel der Hawaii-Inselgruppe) untersuchte Emmy Werner mit Forscherkollegen über Jahrzehnte die Bedeutung personaler und sozialer Ressourcen in einem Hochrisiko-Umfeld. Die erstaunlich gute Entwicklung von etwa einem Drittel der Kinder aus stark belasteten Familienverhältnissen faßt Emmy Werner mit folgenden Schlagworten zusammen:


  • „Vulnerable but Invincible“ (Verletzlich, aber unbesiegbar).


  • „Overcoming the Odds“ (Allen Widrigkeiten zum Trotz).


Als Erklärung für diese Resilienz beschreibt sie mehrere Schutzfaktoren, z. B. eine emotionale Bezugsperson, einen stabilen Familienzusammenhalt, eine hohe Schulbildung, hohe Sozialkompetenzen und positive Selbstwirksamkeitserwartungen.

 


Resilienz – heute


Inzwischen ist die Resilienz-Forschung auch in Deutschland gut etabliert und wird vor allem durch das Leibniz-Institut für Resilienz-Forschung repräsentiert. Der Internet-Auftritt des LIR-Mainz bietet interessante, auch allgemeinverständliche Einblicke in dieses zukunftsträchtige Thema, unter anderem zu dem aktuell grundlegenden Risiko- und Schutz-Faktoren-Modell der Resilienz.

 


Eine Frage der Balance: Das Risiko- und Schutz-Faktoren-Modell der Resilienz

 

Das Risiko-und Schutz-Faktoren-Modell läßt sich als Waagschalen-Modell anschaulich darstellen:


  • Ressourcen (Kraftquellen) und Schutzfaktoren auf der einen Seite,


  • Belastungen und Risikofaktoren auf der anderen Seite.


Die Bestückung der beiden Waagschalen bestimmt die Position des „Zeigers“ im Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit, d. h. unser körperliches und seelisches Wohlbefinden.

 


Resilienz: ein Begriff wird erwachsen


Die Frühphase der Resilienz-Forschung war von überwiegend statischen Konzepten geprägt: Resilienz als angeborenes Persönlichkeitsmerkmal oder Resilienz als Endprodukt einer Entwicklung.

 


Resilienz als Persönlichkeitsmerkmal


Als Metapher für Resilienz als Persönlichkeitsmerkmal etablierte sich das Bild vom Schilfrohr (oder Bambus). Schilfrohr besitzt eine hohe Biegsamkeit und Rückstellungskraft und kommt damit dem mechanischen Verständnis von Resilienz nahe.


Es erhebt sich jedoch die Frage: Welche Optionen haben die „Nicht-Schilfrohre“?

 


Resilienz als Endprodukt


Als Metapher für Resilienz als Endprodukt bietet sich das Bild von der Ritterrüstung an. Die Ritterrüstung kann maßgeschneidert werden und liefert Rundumschutz im Nahkampf.


Hier erhebt sich jedoch die Frage: Welchen Schutz bietet eine Ritterrüstung gegen überlegene Angreifer, die beispielsweise Flexibilität erfordern?

 


Resilienz als Prozeß


Heute wird Resilienz eher als ein Prozeß verstanden, der sich durch das Zusammenspiel mehrerer Komponenten entwickelt:


  • Resilienzfaktoren (neuro-biologisch, personal, psychologisch, sozial,…),


  • Resilienzmechanismen (z. B. Bewertungsprozesse).

 

Die Elemente des Resilienz-Prozesses können beschrieben werden als:


  • Resistenz (Widerstand),


  • Regeneration (Erholung),


  • Rekonfiguration (Anpassung).


Als Metapher für Resilienz als Prozeß wird häufig das Bild vom Baum im (Küsten)Wind benutzt: Biegsam und standhaft zugleich trotz er dem rauen Wind am Meeresstrand.

 


Der Resilienz-Koffer: Eine praxisnahe Metapher zur Vermittlung der Resilienzfaktoren


Die Resilienzfaktoren werden in der Ratgeber-Literatur häufig als „Sieben Säulen der Resilienz“ dargestellt. Auch die Metapher von den „Schlüsseln zur Resilienz“ ist gebräuchlich.


Als praxisnahes Sprachbild eignet sich die Rede vom „Resilienz-Koffer“. Diese Metapher vereinigt die statischen und die dynamischen Elemente der Resilienz, indem sie einerseits auf notwendige Inhalte, anderseits auf den fließenden Prozeß verweist.


Mit einem gut bestückten Koffer und mit flexibel anpaßbaren Reaktionsmöglichkeiten gelingt die Reise zur Resilienz leichter. Die „Reise zur Resilienz“ deutet zudem die Notwendigkeit einer ständigen Änderungsbereitschaft an – im Sinne des Spruches „Der Weg ist das Ziel“.

 


Was ist typischerweise drin im Resilienz-Koffer?


Zu den wichtigsten Resilienz-Faktoren zählen:


  • soziale Unterstützung,


  • aktives Coping,


  • Emotionsregulation,


  • Wertecheck,


  • Selbstwirksamkeitsüberzeugung,


  • realistischer Optimismus,


  • positive Emotionen.


Diese Aufzählung ist unvollständig und wird laufend in der ein oder anderen Weise durch aktuelle Forschungsergebnisse modifiziert. Wichtig ist die zentrale Erkenntnis: Resilienz ist ein komplexer, aktiver und dynamischer Prozeß und kein starres Persönlichkeitsmerkmal.

 


Kann man Resilienz messen?


Yes, we can! Allerdings basieren die Meßinstrumente jeweils auf den unterschiedlichen Resilienz-Konzepten.

 

  • Resilienz als Persönlichkeitsmerkmal läßt sich beispielsweise messen mit der Resilience Scale (RS).


  • Resilienz als „Endprodukt“ kann erfaßt werden mit:


          Connor Davidson Resilience Scale (CD-RISC)


          Resilience Scale for Adults (RSA)


          Resilience Scale (RS)


          Brief Resilience Coping Scale (BRCS)


  • Resilienz als ergebnisorientierter Prozeß läßt sich mit dem innovativen Meßinstrument Resilienz-Score (R-Score) erfassen.

 


Kann man Resilienz stärken?


Auch hier gilt der Slogan: Yes, we can! Und auch hier folgt sogleich ein „Allerdings“: Es gibt erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Qualität von Resilienz-Trainings.

 

Allgemein gilt:


Resilienz-Trainings verfolgen meist das Ziel, die individuelle Resilienz im Zusammenhang mit einem bestimmten Streßfaktor zu fördern. So können sie beispielsweise auf eine kommende Streßsituation vorbereiten (erprobt in der zivilen und militärischen Katastrophenvorsorge). Sie können auch während einer Streßsituation erfolgen (z. B. Resilienz-Training für Absolventen in Prüfungszeiten) oder nach einer Streßsituation erfolgen (z. B. nach Naturkatastrophen).


Resilienz-Trainings sind ressourcenorientiert und stärken einen oder mehrere veränderbare Resilienz-Faktoren (Problemlösekompetenz, Selbstwirksamkeit, realistischer Optimismus).


Die theoretischen Grundlagen von Resilienz-Trainings sind vielfältig und umfassen unter anderem Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie, achtsamkeitsbasierte Ansätze, sowie Akzeptanz- und Commitment-fördernde Verfahren und Kombinationen daraus.

 

Erste Studien haben inzwischen vielversprechende Ergebnisse zu positiven Effekten von Resilienz auf Krankheitsverläufe erbracht. Seither werden Resilienz-Trainings im Zusammenhang mit chronischen körperlichen und psychischen Erkrankungen erforscht.

 


Fazit für die psychopneumologische Praxis


  • Chronische Lungen-Erkrankungen stellen für zahlreiche Betroffene eine erhebliche Herausforderung dar. Sie bedeuten oftmals eine hohe psychische Belastung (Depressivität, Ängste, traumatisierende Erfahrungen) und führen nicht selten zur Ausbildung psychischer Störungen. Diese sind mit geringerem Rehabilitationserfolg, einem ungünstigeren Krankheitsverlauf und einer erhöhten Sterblichkeit verknüpft.


  • Die Bewältigung solcher Lebenssituationen erfordert angemessene Ressourcen, über die nicht alle Betroffenen gleichermaßen verfügen. Weniger resiliente Menschen mit chronischen körperlichen Erkrankungen sind im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit verletzlicher.


  • Resilienz ist auch bei chronischen Lungen-Erkrankungen als bedeutsamer Faktor für eine Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit von Patienten und Angehörigen nachgewiesen. Die deutlichsten Zusammenhänge bestehen zwischen Resilienz, gesundheitsbezogener Lebensqualität, Selbstfürsorge und Adhärenz. 


  • Betroffene mit geringerer Resilienz sollten gezielt psychosozial unterstützt werden, um psychische Belastungen zu reduzieren und das Risiko für Depressionen oder Angststörungen zu reduzieren.


  • Ein Screening (z. B. mit einer Kurzform der Resilienzskala) ist sinnvoll, um Betroffene in der klinischen Praxis zu identifizieren und ihnen so früh wie möglich angemessene Unterstützung anzubieten.

 


Quellen und weiterführende Literatur

 

Fröhlich-Gildhoff, K., & Rönnau-Böse, M. (2015). Resilienz (4. überarb. und aktualis. Auflage). München: Reinhardt/UTB.

 

Schäfer, B. (2017). Resilienz. 100 Seiten: Reclam 100 Seiten. Reclam Verlag.

 

Färber, F., & Rosendahl, J. (2018). Zusammenhang von Resilienz und psychischer Gesundheit bei körperlichen Erkrankungen: Systematisches Review und Metaanalyse. Deutsches Ärzteblatt, 115(38), 621-627.

 

Rosa, F., Bagnasco, A., Aleo, G., Kendall, S., & Sasso, L. (2017). Resilience as a concept for understanding family caregiving of adults with Chronic Obstructive Pulmonary Disease (COPD): an integrative review. Nursing open, 4(2), 61-75.

 


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Erstveröffentlichung: 11.10.2022

 


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