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Psychopneumologie Lexikon: F wie Fatigue

Monika Tempel • März 22, 2022

Fatigue und ihre Auswirkungen auf die Lebensqualität bei chronischen Lungen-Erkrankungen sind inzwischen wichtige Themen in Forschung und Praxis.



Fatigue: ein Definitionsversuch


Fatigue (vom lateinischen Begriff „fatigatio“ = Ermüdung) bezeichnet eine krankheitswertige Müdigkeit und Erschöpfung. Sie kommt als eigenständiges Krankheitsbild vor, aber auch neben anderen Symptomen bei chronischen und onkologischen Erkrankungen. Meist besteht kein ursächlicher Zusammenhang mit einer vorangegangenen körperlichen oder geistigen Anstrengung. Fatigue bessert sich typischerweise nicht durch Ruhephasen.

 


Die Fatigue-Erfahrung ist umfassend und betrifft alle Dimensionen:


  • Körper (körperliche Fatigue),
  • Psyche (emotionale Fatigue),
  • Geist (kognitiv-mentale Fatigue).

 

Damit sind die typischen Bereiche beschrieben, in denen sich die Fatigue unangenehm bemerkbar macht. Das soziale Umfeld reagiert oft verständnislos auf die Klagen der Betroffenen. Ängste bei Atemnot sind für Familie und Freunde von Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen nachvollziehbar – die Verzweiflung bei Fatigue erntet häufig ein Schulterzucken oder Kopfschütteln.



Läßt sich Fatigue messen?


Fatigue und ihr Einfuß auf die Lebensqualität lassen sich durch Fragebögen zuverlässig testen. Gebräuchlich sind:

 

Allgemeine Fatigue-Fragebögen


  • Visual Analogue Scale Fatigue (VAS-F für subjektive Einschätzung der Fatigue),
  • Fatigue Severity Scale (FSS für Schwere der Fatigue),
  • Fatigue Impact Scale (FIS für Auswirkungen der Fatigue).

 

In verläßlichen Studien berichten bis zu einem Drittel der COPD-Patienten von typischen Fatigue-Symptomen. Die Gefühle von Energiemangel und totaler Erschöpfung sind oft begleitet von Irritation, Frustration und Resignation. Mit Fortschreiten der Erkrankung berichten immer mehr Patienten über Fatigue.

 

Inzwischen gibt es spezielle Skalen für die Erfassung der Fatigue und ihrer Auswirkungen bei chronischen (Lungen)Erkrankungen.

 

Spezifische Fatigue-Skalen (für COPD, Asthma, chronische Erkrankungen):


  • Manchester COPD Fatigue Scale,
  • COPD and Asthma Fatigue Scale,
  • Functional Assessment of Chronic Illness Therapy – Fatigue (FACIT-F-Scale).

 


Ursachen der Fatigue bei chronischen Lungen-Erkrankungen

 

Als Ursachen für die Fatigue werden vor allem folgende Faktoren diskutiert:


  • Nebenwirkungen von Medikamenten,  
  • Schlafstörungen (z. B. durch Atemnot, Husten, Schlafapnoe),
  • krankheitsbedingter Gewichtsverlust (pulmonale Kachexie),
  • Inaktivität und ihre Folgen (Trainingsmangel, Muskelabbau),
  • Hypoxämie (Sauerstoffmangel im Blut),
  • chronische Entzündungsreaktion (Systemische Inflammation),
  • psychische Belastung (Angst, Depression, Streß),
  • soziale Belastung (fehlende Unterstützung und finanzielle Sorgen).

 

Diese Aufzählung macht bereits deutlich: Bei der Fatigue-Erfahrung lassen sich körperliche, psychische und soziale Ebene nicht voneinander trennen.

 


Emotionale Fatigue: Wie geht die Psychopneumologie damit um?

 

Die emotionale Fatigue zeigt sich vor allem in Form von Unlust und Motivationsmangel. Sie weist eine enge Verbindung zu Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Depression auf, ist jedoch nicht mit ihnen identisch.

 

Typische Patienten-Aussagen zur emotionalen Fatigue klingen beispielsweise so: „Manchmal wechselt meine Stimmung von einem Moment zum anderen. Ich bin total ratlos und sehe dann keinen Weg, wie ich ohne Energie überhaupt weitermachen soll.“

 

Bei emotionaler Fatigue geht es vorwiegend um das Coping (Krankheitsverarbeitung) von:


  • Streß und Angst,
  • Niedergeschlagenheit und Depression,
  • Trauer um Verluste.

 

Methodisch bieten sich für diese Aufgaben folgende Ansätze an:


  • Kognitive Verhaltenstherapie,
  • Mind-Body-Verfahren.

 

Vor allem die Ansätze der Mind-Body-Medizin (Yoga, Atemübungen, Achtsamkeitsübungen, Tai-Chi, Qi-Gong) und die klassischen Entspannungsverfahren (Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung) scheinen sich zu bewähren.

 

Bei diesen Ansätzen geht es darum, achtsam und aufmerksam mit sich selbst umzugehen. Selbstwahrnehmung, Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse und die daraus resultierende Selbstfürsorge stehen im Vordergrund. So tragen Mind-Body-Verfahren dazu bei, die eigenen Ressourcen (Kraftquellen) zu entdecken und angemessen einzusetzen.



Mental-kognitive Fatigue: Wie geht die Psychopneumologie damit um?

 

Die mental-kognitive Fatigue äußert sich vor allem durch Einbußen der geistigen Aktivität und Leistungsfähigkeit.

 

Eine typische Patienten-Aussage lautet in diesem Zusammenhang etwa so: „Mein Kopf macht einfach nicht mehr mit. Beispiel gefällig? Wenn ich mich nach dem Frühstück endlich zum Zeitungslesen aufgerafft habe, kann ich mich nicht mal auf die Lokalnachrichten konzentrieren.“

 

Für den Umgang mit der mental-kognitiven Fatigue gibt es kein Patent-Rezept. Am ehesten eignen sich Methoden aus dem Energie-Management (Pacing), wie beispielsweise:


  • Priorisierung,
  • Timing,
  • Geschwindigkeitslenkung,
  • Pausen,
  • Distanzierung,
  • Nein-Sagen.

 

Energie-Management (Pacing) bewährt sich zwar vor allem beim Umgang mit körperlicher Fatigue; mit etwas Kreativität lassen sich jedoch die meisten Methoden auch bei mental-kognitiver Fatigue einsetzen.

 

Auf das Zeitungslesen angewandt, könnte es beispielsweise bedeuten:


  • Ich experimentiere mit unterschiedlichen Zeiten für die Zeitungslektüre (Timing).
  • Ich nehme mir zunächst nur einen besonders interessanten Artikel vor (Priorisierung).
  • Falls Lesen wirklich nicht funktioniert, wechsle ich das Medium, z. B. probiere ich einen Nachrichten-Podcast statt der Zeitung aus und höre entspannt zu, statt angestrengt zu lesen (Flexibilisierung).
  • Ich stoppe hinderliche Gedanken – besonders Antreiber wie „Du mußt“ und „Du solltest unbedingt“ (Distanzierung).

 


Körperliche Fatigue: Wie geht die Psychopneumologie damit um?

 

Die körperliche Fatigue wird als muskuläre Schwäche, als fehlende Kraft und Ausdauer bei körperlicher Aktivität erfahren.

 

Bei einem Patienten mit fortgeschrittener COPD kann das beispielsweise so klingen: „Haarewaschen oder Duschen – das ist meine wöchentliche Mont Everest-Besteigung! Danach geht erstmal gar nichts mehr.“

 

Bei der körperlichen Fatigue entfalten die Methoden des Energie-Managements (Pacing) ihre hilfreiche Wirkung in der Regel noch deutlicher und effektiver als bei der kognitiv-mentalen Fatigue.


Die wichtigsten Methoden werden häufig im Rahmen der Pneumologischen Rehabilitation auch für den Umgang mit Atemnot bei Belastung vermittelt. Rhythmus, Tempo, Timing, Pausen – diese Begriffe und ihre individuelle Umsetzung bei Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL = Activities of Daily Living) kommen vermutliche den meisten Patienten mit Reha-Erfahrung bekannt vor. Pacing ist ein eindrückliches Beispiel für die Wichtigkeit eines Kollaborativen Versorgungs-Modells (interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit) zur Förderung der Lebensqualität bei chronischen Lungen-Erkrankungen.

 

Konkrete Empfehlungen zum Pacing bei Fatigue lauten beispielsweise:


  • Ich teile meinen täglichen Aufgaben jeweils eine Wertigkeit zu (Wichtig – weniger wichtig – vielleicht).
  • Ich sortiere meine täglichen Aufgaben nach Wertigkeit.
  • Ich begrenze die Pflicht-Aufgaben bewußt zugunsten der angenehmen Aktivitäten.
  • Ich plane im voraus – halte mich aber nicht sklavisch an meinen Plan.
  • Ich passe mein Tempo an meine Tagesform an.
  • Ich achte auf meine Körpersignale (Atmung, Muskelkraft, Konzentration, …)
  • Ich mache rechtzeitig Pausen – bevor ich erschöpft bin.
  • Ich achte auf einen guten Wechsel von Aktivsein und Erholung (Nachtschlaf, Power-Naps, Sofa-Stunden …)
  • Ich sage „Nein“ zu anderen – auch wenn es schwerfällt.
  • Ich bitte andere um Hilfe oder gebe Aufgaben an andere ab.
  • Ich setze Atem-Techniken ein und übe regelmäßig Entspannungs-Techniken.
  • Ich plane angenehme Aktivitäten mit anderen – und probiere auch mal was Neues aus.
  • Ich gehe liebevoll mit mir um – gerade in „Schlechten Stunden“.
  • Ich klage mich nicht als „Versager“ an wegen meiner Fatigue.
  • Ich akzeptiere die Erfahrung von Erschöpfung und genieße die Erfahrung von Frische.
  • Ich achte auf optimale Umgebungsbedingungen (z. B. Temperatur, Beleuchtung).

 


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Beitragschronik


  • Erstveröffentlichung: 22.3.2022



Quellen:


  • DEGAM. S3-Leitlinie Müdigkeit (2017). AWMF-Register-Nummer 053-002


 


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